PRODUKTIONEN
Saskia Hölbling entzieht sich in ihrer aktuellen Arbeit “fragments of desire” linearer Narrative, um dem Publikum einen
freien Blick auf die Welt zu geben. Dafür katapultiert uns DANS.KIAS mitten in eine kaleidoskopische Auffächerung
menschlicher Zusammenkünfte, sprachlicher Einbettungen und situationsbedingter Absurditäten.
In “fragments of desire” skizziert Hölbling choreografisch unterschiedlichste Situationen, die sich sowohl auf globale
Ereignisse beziehen, genauso aber auf solche, die uns im täglichen Leben beschäftigen.
Damit eröffnet “fragments of desire” paradoxe und berührende Sichtweisen auf uns Menschen mit all unseren Eigenheiten. Und zeigt, wie orientierungslos wir manchmal sein können, wenn sich die Zeichen um uns verändern. Dass immer alles in Veränderung begriffen ist, obwohl wir uns nach Halt und Kontinuität sehnen. “fragments of desire“ verweist auf die Fragilität der Topographien und Strukturen, die uns umgeben, die Macht der Worte, der Bilder und der Berührungen, aber auch ihrer Flüchtigkeit.
Uraufführung: 16. Jänner 2024, Das Off.Theater, Wien/AT, Dauer: ca. 60 min.
Weitere Vorstellungen: 17. - 20. Jänner 2024, Das
Off.Theater, Wien/AT
Weitere Vorstellungen: 05., 07. + 08. August 2024,
Das Off.Theater, Wien/AT, im Rahmen von IMPULSTANZ
Künstlerische Leitung, Regie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Saskia Hölbling, Ardan Hussain, Leonie Wahl; Video: Evi Jägle; Musik, Komposition: Heinz Ditsch; Texte: Saskia Hölbling, Leonie Wahl; Licht: Reto Schubiger, Tontechnik: Miriam Jochmann; Videotechnik: Jakob Figo; Videodokumentation: Maximilian Pramatarov; Produktion, Presse: Simon Hajós
Atompilz voller Zuversicht: Saskia Hölblings "fragments of desire"
Helmut Ploebst, der standard, 17. Jänner 2024Die Wiener Choreografin untersucht im Off-Theater das Gleichgewicht zwischen gesellschaftlichen Wünschen und Enttäuschungen.
Das klingt einigermaßen beruhigend: "Die Bilder sind überbordend, aber nachvollziehbar." Aber im nächsten Atemzug bekommt die Sedierung Sprünge: "Die Worte haben nichts mehr zu sagen, aber das geht vorbei." Und so kann ein Witz über die beliebte Schönrednerei nicht ausbleiben: "Der Atompilz steigt auf, aber voll Zuversicht."
Harmlos ist "fragments of desire", die neue Arbeit der Wiener Choreografin Saskia Hölbling, also nicht. Im Off-Theater erlebt sie jetzt ihre Uraufführung – und hält, was ein Preview im Dezember versprochen hat: Da wird mit präzisen künstlerischen Instrumentarien gemessen, wie es derzeit um das Gleichgewicht zwischen gesellschaftlichen Wünschen und Enttäuschungen steht.
Weil diese Messung in einer Gegenwart stattfindet, auf deren Komplexität keine Kunst mehr hinweisen muss, legen Hölbling und Leonie Wahl als Tänzerinnen und der Tänzer Ardan Hussain in dem Stück eine vereinfachend fragmentarische Struktur an. Zwischen Tanz und Musik, Texten und digitalen Videoanimationen entstehen so Umrisse einer emotionalen und rationalen Überforderung. Nicht als Abgesang, sondern als Bewältigungsversuch und Bestreben, das Kippen in die Abgründe der Enttäuschung doch noch abzuwenden.
"fragments of desire" führt eine grundsätzliche Verstörung vor, aber das Trio konzentriert sich, diese nicht in Panik münden zu lassen. Mit Erfolg. Das Stück bricht weder auseinander noch driftet es in Zynismus ab. Hölbling beweist, dass es nicht nötig ist, aus dem Tanz zu flüchten, um brisante Inhalte performativ aufzubereiten. Und ihr gelingt ein Hinweis darauf, dass es nicht exklusiv die Sprache ist, die unsere Wirklichkeit formt, sondern soziales Verhalten und Handeln die Sprache gestaltet.
DANS.KIAS: „fragments of desire“
Rando Hannemann, tanz.at, 21. Jänner 2024„Als wäre die Welt ein Honigschlecken!“ Die innige Verbindung von Form und Inhalt ist nicht immer so konsequent zu erleben wie hier. Tanz, Theater, Text, Sprache, Visual Art, Musik und Sound, Installation. Und Bilder, Nachrichten, Informationen, Situationen. Und Gedanken, Emotionen, Zustände, Sinneseindrücke. Aus diesen Werkzeugen, dem Außen und dem Innen mixt Saskia Hölbling mit ihrer Kompanie DANS.KIAS ihre im OFF-Theater Wien uraufgeführten „fragments of desire“. Es ist ein Durcheinander von kurzen Sequenzen, die mit eben dieser Anordnung, ihrem jeweiligen performativen Charakter und den in ihnen thematisierten Aspekten wie das richtige Leben auf uns einprasseln. Evi Jägle zeigt in ihren Video-Animationen in Hochgeschwindigkeit ablaufende Serien von Bildern und Filmen, die Krieg und Zerstörung, einen auf sich gestellten Menschen bei der Konfrontation damit und Widerstand und Demonstrationen aus allen Regionen dieser Welt und dazu des urbanisierten Menschen destruktives Sein ins Auditorium hämmern. Tänzerisch-performativ wird gelitten, gezweifelt, verzagt, gesucht, getrotzt, gekämpft, gehalten und geliebt.
„Der Atompilz steigt auf, aber voller Zuversicht.“ Den Zynismus interessengetriebener Argumentation, ob politisch, gesellschaftlich oder individuell, fassen sie in poetische Worte. Die Texte von Saskia Hölbling und Leonie Wahl entlarven einerseits populistische Verkürzungen, sie stellen andererseits das Intentiöse an der Argumentation auch der menschenverachtendsten und zerstörerischsten Taten bloß. Hölblings Lyrik mündet in Paradoxien, deren Wirklichkeitsverweigerung und dissoziative Attitüde Bild einer beklemmenden, individuellen intrapsychischen Realität sind. Und die erzeugt Unbehagen.
Die Fülle, Diversität und Komplexität der Welt, in der wir leben und insbesondere die medial und real omnipräsente, gegen Mitmensch und Planeten gerichtete Destruktivität des Menschen sind zunehmend erdrückend. Es ist der Mensch selbst, dessen Wahrnehmung als primitives zerstörerisches Wesen entmutigt. Was folgt, ist ein Leben, das am Abgrund der Verzweiflung balanciert. Eine qualifizierte Verarbeitung der bewusst und unbewusst aufgenommen Eindrücke und Informationen ist nicht mehr möglich, eine Positionierung in unserer Welt erscheint illusorisch. Die Herausforderungen münden in Überforderung. Das Bemühen der drei PerformerInnen, eine Strategie für dem Umgang damit zu finden, läuft ins Leere. Die emotionalen Wirrnisse hinterlassen Verstörung und inneres Chaos als Abbild des Außen. Tanz als Ausdruck des Unnennbaren, Sex als Narkotikum, verzweifelte Schreie als Ventil.
Dass künstlerische und Lebenserfahrung tänzerische Strahlkraft mit sich bringen, zeigen die drei einzigartigen TänzerInnen Saskia Hölbling, Leonie Wahl und Ardan Hussain (alle über Mitte 40) in ihren vielen Soli und Duetten. Jeder hat seine Momente, die unter die Haut gehen. Saskia Hölbling zum Beispiel berührt mit einem schon im ersten Showing im Dezember gezeigten Solo. Sie spürt in sich hinein, um zu erkennen, was passiert und was mit ihr passiert. Orientierung suchen auch Ardan Hussain, er tanzt die dynamischsten Soli, und Leonie Wahl. Letztere presst in theatralen Szenen erst im zweiten Versuch erfolgreich ganze Worte aus sich heraus. Unsortiert wie ihr Innenleben.
In dieser Arbeit wird die Geschichtsschreibung auf ihre Füße gestellt. Das Faktische der Welt und die Widersprüchlichkeit der Werte erzeugen Emotionen und Befindlichkeiten, die sich tief in die Psychen der Beteiligten und Betroffenen einbrennen und die über Generationen hinweg weit in die Zukunft vererbt werden. Verunsicherung und Angst wirken von unten in die Gesellschaft hinein. Der Zulauf, der die populistischen Vereinfacher weltweit in Politik und Gesellschaft stärkt, liegt hierin begründet. Und nebenbei werden hier auch die alte These von Marx „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ und die neue von der bewusstseinsformenden Kraft der Sprache hinterfragt. Das führt das Stück über eine Bestandsaufnahme hinaus.
Sprunghaft wechseln die Gefühlslagen, Begierden und Bedürfnisse, die Impulse und Triebe, die emotionalen und rationalen Strategien. Sie performen auch verzweifelte Versuche, der Verunsicherung durch gewaltsame Aufrechterhaltung des status quo zu entrinnen. Über allem aber liegt eine ungeheure Zerbrechlichkeit. Das Temporäre wird zum alles einenden Aspekt. Häufige, heftige Brüche jagen das Publikum durch „fragments of desire“, ohne das Stück selbst zu fragmentieren. An seinem Ende liegen die verblassten Schriften der Gelehrten, die Geschichten der Leben der Menschen, ihre Träume, Hoffnungen, Wünsche und möglichen Zukünfte, ihr Schmerz und ihre Ängste als Trümmerhaufen vor uns. Als ein zusammen geknülltes Bündel verendet die lange Bahn aus Papier, vorher mit Farbe und mit Tanz beschrieben, auf der Bühne. Leider viel zu kurz hält das Schlussbild. Keine Zeit für Besinnung und Reflexion, die nach einer so komplexen, dichten Arbeit wünschenswert gewesen wäre.
Eine DANS.KIAS Produktion. Subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien. In Kooperation mit dem Off.Theater.
Mit "inhabit the impossible" ging DANS.KIAS das Wagnis ein, das Unvorstellbare, das Unmögliche in den Mittelpunkt eines
transdisziplinären Projektes zu stellen.
Seit dem Frühjahr 2021 besprechen sich die Choreografin und Tänzerin Saskia Hölbling und der Philosoph Arno Böhler dazu
regelmäßig und laden in Folge Menschen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Hintergründen ein, Gedankenräume zu öffnen
und dem Habitat des Unmöglichen Boden zu bereiten. Gemeinsam mit den Tänzer_innen Ardan Hussain und Leonie Wahl, der
Medienkünstlerin Evi Jägle, der Quantenphysikerin Tanja Traxler sowie dem Videokünstler Kay Walkowiak und dem Musiker
und Komponisten Heinz Ditsch wurden neue künstlerische Strategien entwickelt und die Möglichkeiten des Unmöglichen
ausgelotet.
Mythologie und Science-Fiction reichen einander die Hand, Phänomene abseits unseres Vorstellungsraums eröffnen neue Möglichkeiten und zwischen Intuition, Gedankenblitzen und flüchtigen Formeln des Lebens entstehen neue Lebensräume. Wir laden ein, diese Habitate des Unmöglichen mit uns zu erfahren.
Uraufführung: 17. Jänner 2023, WUK, Wien/AT, dauer: ca. 2 Stunden.
FIELD-PERFORMANCE INHABIT THE IMPOSSIBLE
Künstlerische Leitung, Gesamt-Regie: Saskia Hölbling;
Wissenschaftliche Leitung, Philosophie: Arno Böhler;
Choreografie, Tanz, Performance: Saskia Hölbling, Ardan Hussain, Leonie Wahl;
Lecture-Performance: Arno Böhler, Susanne Valerie Granzer;
Medienkunst: Evi Jägle;
Videokunst: Kay Walkowiak;
Quanten-Physik-Performance: Tanja Traxler;
Musik, Sounddesign: Heinz Ditsch;
Lichtdesign: Reto Schubiger;
Kostüme: Evi Jägle & DANS.KIAS;
Bühne: Marco Tölzer;
Produktion & Öffentlichkeitsarbeit: Simon Hajós;
Videodokumentation: Maximilian Pramatarov
GAST-PERFORMANCE
Black Hole:
Jyoti Dogra
ÖFFENTLICHER WORKSHOP INHABIT THE IMPOSSIBLE
Doktorand:innen-Team: Michael Boch, Elke Pichler, Mira Magdalena Sickinger
Lichtinstallation: Elisabeth Wildling
Artistic-Research: Janhavi Dhamankar
Und Adonis furzt
Verena Franke, Wiener Zeitung, 18. Jänner 2023Saskia Hölbling fordert ihr Publikum. Also einfach nur in ihre Performance reinzusetzen und das zu Sehende wirken zu lassen, ist der Wiener Choreografin immer schon zu wenig gewesen. In ihrem aktuellen Stück "inhabit the impossible", das am Dienstag im WUK Premiere hatte, geht sie noch einen Schritt weiter als üblich, da ist zuhören und mitdenken bis zum Schluss notwendig. Und zwar 120 Minuten lang. Seit dem Frühjahr 2021 arbeitete die Choreografin mit unterschiedlichen Personen zusammen und Seite an Seite mit dem Philosophen Arno Böhler, um die Möglichkeiten des Unmöglichen zu erforschen. Gemeinsam mit den Performern Ardan Hussain und Leonie Wahl, der Medienkünstlerin Evi Jägle, der Quantenphysikerin Tanja Traxler, dem Videokünstler Kay Walkowiak sowie dem Musiker und Komponisten Heinz Ditsch ist ein opulentes, transdisziplinäres Werk gelungen, das alle Sinne fordert: Da gibt es auf Hölblings Bewegungsrepertoire basierende Bewegungsszenen in allen möglichen Formationen verteilt im ganzen Raum mit aussagekräftigen Requisiten, abgelöst von Videoprojektionen auf drei Leinwänden und unzähligen Textfragmenten. Erklärungen von Böhler und Jägler verdeutlichen das performative und philosophische Konzept des Raums und der Zeit. Es trifft Vergangenheit auf Zukunft, Gott Chronos auf Umweltverschmutzung. Und Adonis furzt. Sehenswert!
Das Mögliche im Unmöglichen
Paul Delavos, tanznetz, 20. Jänner 2023(...) Mit ihrer aktuellen Produktion, einer „cross-disciplinary field-performance“, fordert die Choreographin Saskia Hölbling das Publikum. Zu sehen ist eine Mischung aus Tanz, Video, Klang sowie philosophischen und quantenphysikalischen Lectures. (...) Die tänzerischen Momente sind von großer Körperlichkeit und Impulsübertragungen geprägt. Vieles wirkt sehr zart, fast verletzlich; große Gesten bzw. Szenen sind nicht zu sehen. Der Komponist Heinz Ditsch liefert dazu den passenden Klangteppich. (...)
Saskia Hölbling und Jyoti Dogra im WUK Wien
Rando Hannemann, tanz.at, 27. Jänner 2023Was ist das Unmögliche und wie verhält es sich zum Möglichen, zur Wirklichkeit? Welche Bedeutung, welchen Wert kann man ihm beimessen? Und wie könnte sich eine performative Auseinandersetzung mit diesen Fragen gestalten lassen? Die Wienerin Saskia Hölbling mit ihrer Kompanie DANS.KIAS und der Philosoph Arno Böhler sprengen in ihrer hier uraufgeführten Arbeit „inhabit the impossible“ die Grenzen von Kunst, Philosophie, Physik, Mythologie und Science-Fiction und verbinden sie zu einer anspruchsvollen, dichten Cross-Disciplinary Field Performance. Mit ihrer im Anschluss gezeigten Performance „Black Hole“ krönt die indische Performance-Künstlerin Jyoti Dogra das insgesamt dreiteilige Event.
Der sich über mehr als ein Jahr lang erstreckende Austausch zwischen der künstlerischen Leiterin Saskia Hölbling, Choreografin und Tänzerin, dem wissenschaftlichen Leiter Arno Böhler, den TänzerInnen Ardan Hussain und Leonie Wahl, der Medienkünstlerin Evi Jägle, der Quantenphysikerin Tanja Traxler, dem Videokünstler Kay Walkowiak und dem Musiker und Komponisten Heinz Ditsch mit dem Ziel, „die Möglichkeiten des Unmöglichen“ zu erforschen, mündete in eine multidisziplinäre Arbeit, in der sich alle Beteiligten, von ihren künstlerischen respektive Forschungs-Arealen ausgehend, auf einem gemeinsamen Bühnen-Feld begegnen.
Vorangestellt war dieser Premiere ein sieben Tage zuvor stattfindender, fast dreistündiger offener Workshop mit den Philosophie-DoktorandInnen Michael Boch, Elke Pichler und Mira Magdalena Sickinger von der Vienna Doctoral School an der Universität Wien. Philosophische, literarische und poetische Texte, die Fundamente des indischen Yoga, diskursiv-performative Partizipation des Publikums – die entstandenen Ergebnisse vermochten zu überraschen - und ein Tanzstück der indischen Tänzerin und Philosophin Janhavi Dhamankar in einer Licht- und Rauminstallation von Elisabeth Wildling, das dem westlichen Denken in Polaritäten die östliche Alternative des Sowohl-als-auch gegenüberstellte, verschränkten Geisteswissenschaft und Kunst, Intellekt, körperliche und sinnliche Erfahrung. Als voraussetzungslos dem Publikum offeriert erwies sich der Workshop, als eigenständiges Format durchaus wert- und sinnvoll, doch als ein, in seinen theoretischen Teilen, dem philosophisch Vorgebildeten und Aktiven angedientes. Als Kontrapunkt zur Freude am Denken die Tanzperformance als kluge, die Polarität überwindende physische Reflexion.
Die Performance „inhabit the impossible“ bespielte die große runde Bühne (von Marco Tölzer), in drei von drei Leinwänden verbundenen Fraktionen vom Publikum umsessen und mit kreisrunder Lehmfläche und flach bewässertem Oval die ZuschauerInnen in die Aktionen auf dieser (Bühnen-) Erde und in die Mitverantwortung für sie hineinziehend, als spartenspezifisches und - durchdringendes Experimentierfeld zugleich. Und wie tanzt man das Unmögliche, das partiell zu Möglichem, zu Wirklichkeit wird und damit wieder neue Möglichkeiten generiert? Die Teilchen-Fluktuation im Vakuum (aus der darin vorhandenen Energie entstehen für kürzeste Zeiteinheiten Materie-Teilchen, die sofort wieder zerfallen) wird zu einem Fluktuieren von Gedankensplittern, das, in die Bewegung hinein geäußert, mit seiner Unmittelbarkeit und Zusammenhanglosigkeit jenes physikalische Prinzip widerspiegelt. Ebenso der Tanz. Sie formen allein, zu zweit, zu dritt Skulpturen, die, kurz innehaltend im Fluss der Bewegung, Entstehen und Vergehen von Körperlichkeit in physischen Energiefeldern beschreiben.
Die Verschränkung von Teilchen, die über unlimitierte Entfernungen im Universum und ohne Zeitdifferenz (die Frage, ob die Lichtgeschwindigkeit tatsächlich die maximal Mögliche ist, wird dadurch dringlich aufgeworfen) kommunikativ miteinander verbunden bleiben, wird zur Verschränkung von Körpern, die sich gegenseitig durchdringen, ohne sich zu berühren. In ihren Graumännern scheinen sie auf dem Tisch den von der Physikerin beobachteten Vorgang von Verschränkungen, die Suche nach einer Möglichkeit der Bindung nachzustellen. Video-Animationen und Foto-Arbeiten von Kay Walkowiak, die die Performance auf den drei Leinwänden begleiteten, zeigten Welten aus animierten Planetenmodellen, mystische Orte der Natur, Fragmente menschlicher Zivilisation oder der Fantasie entsprungene virtuelle Realitäten. Die Fotos, zentral gespiegelte Aufnahmen unwirklicher Realitäten, schienen wie Paare verschränkter Teilchen, die mit gegensätzlichem Spin ihre fortan getrennten Bahnen ziehen wollen.
Ob mit pulsierendem dunklen Dröhnen oder kreischenden Bläsern, quietschenden Streichern in dissonantem Staccato oder hellen Zimbals, die Bandbreite der Klänge von Heinz Ditsch zwischen elektronischem Sound und akustischer Musik steht für die Bandbreite der Themen des Stückes und begleitet die Performenden wie das Lichtdesign von Reto Schubiger – von partiellen Aufheiterungen abgesehen großenteils bedeckt. Humorig geht Arno Böhler ans Werk. Seine aus einer der Papp- Röhren und übergestülpter multifunktionaler Metall-Spirale erzeugte „Wirbel-Säule“ steht für sein Bemühen, die Schwere und Ernsthaftigkeit der Thematik mit spielerischer Attitüde aufzuweichen. Mitgeliefert in diesem Bild der Hinweis auf die Fülle von Metaphern in diesem Stück.
Was sie sonst zur Sprache bringen (Saskia Hölbling zeigt sich nebenher auch als beachtenswerte Poetin), fordert neben beständiger Aufmerksamkeit ein Grundlagenwissen um philosophische und physikalische Erkenntnisse. Damit ausgerüstet finden die immense gedankliche Bandbreite und Dichte, die Poesie der sprachlichen wie physischen Bilder und der dramaturgische Witz seine Destination in den Hirnen und Herzen. Reflexionen über das Wesen der Zeit, Duplizität und chronische Wiederholungen, über die Kunst als einen Ort für das Unmögliche, über Schönheit, den Teufel und den Tod, über das Unvollständige, Unvollkommene jedes Abbildes der Wirklichkeit, über das Oben und Unten des Meister Eckhart, über Nitzsches Zarathustra und Spinosas Immanenz ohne Transzendenz und seine damit philosophisch vorweggenommenen physikalischen Erkenntnisse, über das und die Falten des Raumes, über Schrödingers Katze in ihrem Überlagerungszustand von Leben und Tod und dessen quantenphysikalische Realität ...
Und sie sparen nicht mit Kritik. In Plastik gekleidet im ovalen Meer, der Mensch am Ende aller Nahrungsketten, als selbstherrliche Krone der Schöpfung und Beherrscher der Natur und als doch nur deren Zerstörer. Bild auch für das Sägen am Ast, das Abweisen der nährenden Hand. Sie stellen die kurzsichtige Dummheit aus, die Rücksichtslosigkeit gegen die Umwelt und sich selbst. Von der Gier genährt. Wie ein hoch oben thronender Herrscher steht der Mann auf einer Leiter, mit Nylonstrumpf-verhängtem, trieb-getrübtem Blick, an langen Papp-Röhren zwei Frauen dirigierend. Die ihn gleichzeitig stützen. Mythologien (wenigstens die okzidentalen) und die mächtigen Figuren in ihnen sind vorrangig männlich dominiert. Das Unmögliche des Patriarchats hat sich ein- und festgeschrieben in Geschichten und Geschichte.
Was der Mensch hat entstehen lassen? Was er aus der Fülle an Möglichkeiten in die Wirklichkeit gehoben hat? Kapitalismus, Wegwerfgesellschaft, Verschwendung an Ressourcen, Ausbeutung seines Gleichen und des Planeten. Der Weg hinaus? „Der Wolf verneigt sich vor dem Schaf.“ Und: „Khronos ermüdet ...“ Fluktuation von Gedanken, Gesten, körperlichen Zuständen, räumlichen Beziehungen, Möglichkeiten und Wirklichkeiten. Im Größeren betrachtet, durch das raumzeitliche Fernrohr, fluktuieren auch Leben in eine ewige mögliche Wirklichkeit, wiederholen in Variationen ihr eigenes Sein, fluktuieren Zeitalter und bilden so im Großen jene chronisch-chronologische Wiederkehr ab, machen, je nachdem wie man den Zeiten-Zoom justiert, das Unmögliche möglich. Und vielleicht auch umgekehrt.
Im Anschluss an die letzten drei der fünf Vorstellungen von „inhabit the impossible“ zeigte die indische Performance-Künstlerin Jyoti Dogra, die auf Einladung von Arno Böhler und Susanne Valerie Granzer aus ihrem Heimatort Mumbai für die Präsentation anreiste, ihre Arbeit „Black Hole“. Sie entwickelt in den 90 Minuten ein Stück über das Sterben (einer krebskranken Frau). Sie spielt in beeindruckender Authentizität und Dynamik Gedanken- und Gefühlswelten (mehrfach weint sie echte Tränen), sie findet in den Singularitäten in Schwarzen Löchern und in uns überraschende, in einer Verschränkung aus physikalischen Erkenntnissen und psychologisch-spirituellem Tiefenwissen Parallelitäten, die sie in ungemein kluger Poesie und tief berührendem Spiel verdichtet zu einer Arbeit von selten zu erlebender Intensität. Fesselnd vom ersten bis zum letzten Augenblick.
Philosophische Gedanken und Erkenntnisse und Entdeckungen der jüngeren Physik-Geschichte - insbesondere, aber nicht ausschließlich aus der Quantenphysik - auf ihre metaphorische Bedeutung untersucht und künstlerisch in Bilder gesetzt, verdichtet in hochkomplexen, teils spielerisch aufbereiteten, herausfordernden und nicht nur die Welt der Kunst bereichernden Arbeiten. „inhabit the impossible“ und Black Hole“ setzen Maßstäbe. Bezüglich eines so dringend notwendigen, Spartengrenzen niederreißenden ganzheitlichen Ansatzes in der Betrachtung der Welt und des Menschen und ihrer spirituellen Dimension. Und wenn sie gestorben ist, dann wird nicht alles von ihr zu Erde. Es entweichen ein paar Helium-Atome in die Atmosphäre, durchdringen diese und machen sich auf die Reise zum nächstgelegenen Schwarzen Loch. Richtig? Und wenn sie mit 6000 km/s fliegen, kommen sie dort, in dessen Singularität, in etwas mehr als 1,2 Millionen Jahren an. Unmöglich ist es also nicht, diese (und unsere) Singularität zu erreichen. Was wir dazu brauchen? Wie immer im Leben: Demut, Hoffnung und Zuversicht. Und ein wenig Geduld.
Eine DANS.KIAS Produktion, Koproduziert mit dem WUK performing arts. Mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport.
Saskia Hölbling setzt sich in ihrem Stück „through touches“ mit der Kraft der Berührung
auseinander. Die Berührungen finden anfangs subversiv statt, dann nach und nach ausufernd - ohne jegliche
Zweckmäßigkeit, ohne Vorbehalte, absichtslos, aber nach mehr drängend.
Auf einer leeren weißen Fläche treffen drei Menschen aufeinander. Nichts stellt sich ihnen
entgegen, einer leeren Seite gleich. In Ermangelung an Dingen oder anderer Ablenkungen beginnen sie sich zu zeigen, sich
miteinander zu beschäftigen und sich aufeinander einzulassen.
Tanz der Berührung
In einem fragilen Tanz der Berührungen schaffen sie sich einen intimen Raum, der ihre Körper
durchlässig werden lässt und ihnen erlaubt, sich die Impulse des anderen zu eigenen zu machen und umgekehrt. Einander zu
lesen.
Sein im anderen
Vorsichtig bis hastig wird aneinander probiert, Körper zu Körper, Körper an Körper - zart und
fordernd, unbeholfen und
hingebungsvoll, Füße auf Bauch, Gesicht in Achselhöhle, Arm um Knie.
Die Körper tauchen ineinander, als berge die Haut das Geheimnis des Zugangs zum anderen. Als
öffnete sich damit das Tor zu einer nie dagewesenen Form der Begegnungsmöglichkeit.
Sich wieder einlassen
"Berührungen oder Begegnungen mit Menschen kann man weder anklicken noch wegwischen, sie sind
individuell völlig unterschiedlich und damit ganz besonders.
Aber es braucht Zeit, sich auf den anderen einzulassen, ein Innehalten und Zuhören. In den
Proben haben wir uns diese Zeit gegeben und es war unglaublich schön zu sehen, wie unorthodox, skurril und absurd manche
Reaktionen auf den anderen ausfallen, aber nie gab es ein zu viel, oder zu befremdlich, oder zu peinlich, und das hängt
ursprünglich mit dem „einlassen auf den anderen“ zusammen. Welch omnipräsente Utopie in globalen Zeiten“, so Hölbling
über den Zugang zu ihrer Arbeit.
Uraufführung: 08. August 2021, WUK, Wien/AT, Dauer: ca. 60 min.
Regie, Choreografie: Saskia Hölbling;
Tanz, Performance: Ardan Hussain, Saskia Hölbling, Leonie Wahl;
Musik: Heinz Ditsch;
Licht: Reto Schubiger; Videodokumentation: Peter A. Egger;
Produktion, Management: Simon Hajós
"through touches": Saskia Hölbling berührt bei ImPulsTanz
Sonja Harter, Salzburger Nachrichen, 09. August 2021Wer im vergangenen Jahr das Bedürfnis hatte, jemanden zu trösten - einen Arbeitskollegen oder eine Freundin - stieß auf ein Hindernis: Corona. Den pandemiebedingten Mangel an Berührung als Hürde in der zwischenmenschlichen Kommunikation nimmt nun Saskia Hölbling im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals unter die Lupe. In ihrem Stück "through touches" (Durch Berührungen) exerziert sie im WUK in knapp einer Stunde die unterschiedlichen Intensitäten körperlicher Begegnung durch.
Egal ob ein flüchtiges Streichen über die Wange oder ein Kuss in die Achselhöhle: Berührungen waren seit März 2020 tabu. Dabei war es unerheblich, ob es sich um Freunde, Bekannte oder One-Night-Stands handelte. Der Körper wurde zur potenziellen Gefahr. Diesen Umstand greift Hölbling mit ihrer Compagnie Dans.Kias nun auf. Auf einer weißen Tanzfläche sitzen die Choreografin selbst, Ardan Hussain und Leonie Wahl einander gegenüber, der Zwei-Meter-Abstand ist mehr als gewahrt. Doch dann beginnen sie, sich einander zu nähern. Vom Tonband kommt ein (englischer) Text, der sich den Ausdrucksformen unterschiedlicher Körperteile - von den Fingerspitzen bis zum großen Zeh - widmet. Egal ob im Solo, im Duett oder schließlich zu dritt: Drei Körper, die Berührungen sichtlich nicht mehr gewohnt sind, nähern sich langsam einander an.
Es geht um Gesten, Körper und Raum. Ist es anfangs noch ein zögerliches Streichen über Wange, Kinn oder Schulter, werden die Berührungen immer intensiver - bis sich die unterschiedlichen Körperteile gegenseitig in den Verrenkungen des Tanzes stützen. Hölbling vermag es, in ihrer Choreografie eine Geschichte des Abstandhaltens - und dessen Überwindung - zu erzählen. Diese geschieht langsam: Mal ist es ein Nasenstupser in die Achselhöhle des Gegenübers, dann wieder ein flüchtiger Kuss auf den Bauch. Die Körper (der Compagnie), die einander so gut kannten, müssen neue Wege finden, sich einander anzunähern.
Nach knapp einer Stunde wird die Stimme durch Musik ersetzt: Der Song "Des Armes" (2001) der französischen Band Noir Desir erklingt in einer Live-Aufnahme: die Körper als Waffen. Ein doppeldeutiges Bild am Ende dieses Abends: Im Jahr 2003 erschlug Noir Desir-Sänger Bertrand Cantat seine Geliebte, die Schauspielerin Marie Trintignant, im Rahmen eine handgreiflichen Streits.
"Tanz gegen algorithmische Isolation
Helmut Ploebst, Falter, 09. August 2021Mit der Magie von Berührungen entzieht Saskia Hölbling sich und ihre Tänzer*innen der Isolation. In "trough touches" eröffnet sich die Vielfalt unserer taktilen Kommunikation. Auch hier gilt der Bezug zur digitalen Prothese: "Berührungen mit Menschen kann man weder anklicken noch wegwischen", sagt die Choreografin. Sich dazu zu bekennen wäre wohl ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Emanzipation gegenüber der Herrschaft von Algorithmen.
Eine DANS.KIAS Produktion
In Koproduktion mit dem WUK performing arts.
Mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien, des Bundesministeriums für Kunst, Kultur,
öffentlicher Dienst und Sport, sowie der Kultur- und Wissenschaftskommission am Alsergrund.
Mitten in den ersten Lock Down fällt das 25-Jahr Jubiläum von DANS.KIAS.
Genau am Freitag, den 13. März 2020 mussten wir – bereits in den Endproben - alles liegen und stehen lassen.
Kein Jubiläumsstück 1. – 4. April 2020 im WUK in Wien
„through touches“ - ! no way !
Trotzdem bleibt die Arbeit nicht liegen:
- eine 2-stündige Dokumentation über die Arbeiten mit DANS.KIAS seit 1995 entsteht
- und 2 Artikel erscheinen, die trotz lock downs das Jubiläum würdigen, einer in der GIFT und einer in der Presse.
Das Filmen von „through touches“, das für Anfang Juni geplant war, mit allen Schutzvorkehrungen (damals noch sehr teuren
PCR-Tests und Quarantäne) scheitert letzten Endes leider doch.
2 Tänzer ändern ihr Leben und sind nicht mehr Teil des Ensembles. Ich kehre auf die Bühne zurück und aus dem Quartett
wird ein Trio.
Nach einem Sommer mit Licht am Ende des Tunnels doch wieder Dunkelheit: 2021 beginnt mit einem weiteren Lock Down - und
wieder keine Aufführungen mit Publikum.
11. - 14. Februar 2021 im WUK wird, allem zum Trotz getanzt und gefilmt.
Kuratoren, Veranstalter und andere erlauchte Gäste dürfen kommen
auch Ö1 und die APA sind zu Gast.
Arbeiten durften wir ja immerhin und fachinternes Publikum mit Test, Maske und unglaublichem Abstand durfte ja auch
kommen. Das fühlte sich richtig subversiv an, war aber klarer Weise nicht sehr kontaktfreudig.
Und dann endlich: 8. und 10. August Premiere vor Publikum im Rahmen von ImPulsTanz im WUK.
Choreografin Hölbling nutzt Lockdown für neue Projekte
Lukas Wodicka, Salzburger Nachrichten, 15. Februar 2021Pünktlich zum 25-Jahr-Jubiläum der Compagnie Dans.Kias hätte die Premiere des zeitgenössischen Tanzstücks "through touches" im April des Vorjahres stattfinden sollen. Nun hat das Coronavirus statt des Stücks ein Scheinwerferlicht auf das "urmenschliche Verlangen nach Zusammenkommen" geworfen, stellt die Choreografin Saskia Hölbling im Gespräch mit der APA fest. Die Gründerin von Dans.Kias hat den unfreiwilligen Aufschub aber für die Erarbeitung neuer Projekte nützen können.
Drei Menschen begegnen sich auf einer ansonsten leeren Fläche. Bald bleibt ihnen nicht viel anderes übrig, als sich mal vorsichtiger und mal forscher anzunähern, zu berühren, zu erkunden. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob Fuß auf Bauch, Hand an Hand oder Gesicht auf Fußsohle trifft: Hauptsache Körper an Körper. "through touches" thematisiert damit die "sensible, aber seltsam unbändige Kraft von Berührungen", wie es in der Ankündigung des Stücks heißt - in Zeiten einer Pandemie ein spannendes Thema.
Doch die Idee existierte bereits, bevor das Virus die Kulturbranche weitgehend stilllegte. "Es ist aus der Beobachtung heraus entstanden, dass in der Welt, durch die wir laufen, kaum mehr Platz dafür ist, sich auf andere einzulassen, sie zu berühren", erklärte Hölbling, die für Regie und Choreografie der Arbeit verantwortlich ist und auch einen tänzerischen Part darin übernimmt. Dann kam Corona und warf einen Fokus auf das fehlende Zusammenkommen. "Das ist schon zynisch, dass dieses Thema nun so im Mittelpunkt steht", meinte die 49-Jährige. Schön findet die Wienerin jedoch, dass durch die derzeit nötige Distanz, "die Leute wieder merken, dass die Kultur des Aufeinandertreffens total fehlt". All das, was den Menschen ausmache, sei gekappt. Schöner wäre es natürlich, wenn nicht erst ein Virus dafür sorgen müsste, dass dieser Fokus entsteht, so Hölbling.
Über 40 Werke hat die Dans.Kias-Gründerin bereits geschaffen. So lange musste sie jedoch noch nie auf eine Aufführung warten. "Man kann eine Spannung nicht über fast ein Jahr hinweg aufrechterhalten, ohne dass einem die Luft ausgeht", meinte Hölbling. Sie legte das Stück bewusst weg. Es vorzeitig per (Live-)Stream zu einer Premiere zu bringen, stand für die Choreografin nicht im Raum: "Wenn ich "through touches" einfach mitfilme und streame, geht das an der Idee vorbei." Online sei alles schneller und die Bildkonsumation eine andere. "Ich mache eine Aufführung, damit die Leute kommen und sich in ein Setting einlassen. Durch die Welt zappen können sie ohnehin am Tag", erklärte Hölbling ihre Entscheidung.
Sie fokussierte sich auf Neues, anstatt an alternativen Aufführungsmöglichkeiten zu basteln. Neben einem Ensemblestück, das noch die Thematik von "through touches" umkreist, ist auch ein Projekt namens "inhabit the impossible" geplant. Dabei setzen sich insgesamt 14 Denker aus verschiedenen Bereichen wie Architektur, Performance oder Film über einen längeren Zeitraum mit Zukunftsräumen auseinander. Auch der Philosoph Arno Böhler bringt seine Perspektive auf das Thema ein. "Man darf sich das nicht so vorstellen, dass da jeder in seinem Kämmerchen sitzt und sich etwas überlegt. Wir haben auch wiederholt Überschneidungspunkte", erklärte Hölbling. Im Endeffekt solle ein Dispositiv entstehen, das unterschiedliche, aber auch durchwachsene Perspektiven zusammenführt.
Bis es soweit ist, hofft die Künstlerin darauf, bald mit "through touches" vor Publikum auftreten zu können. "Ein Stück entwickelt sich immer noch auf der Bühne weiter. Wir sind schon sehr ausgehungert davon, keinen Austausch mit dem Publikum zu haben", bedauerte Hölbling. Und obwohl der Dans.Kias-Gründerin das Coronavirus "an sämtlichen Nerven" zieht, ist sie optimistisch, dass sich Berührungen nach überstandener Abstinenz nicht fremd anfühlen werden: "Es handelt sich hier um eine Ausnahmesituation. Diese wird auch wieder verschwinden."
Anlässlich des 25-Jahr Jubliäum sind zwei Artikel erschienen, welche über folgende Buttons geöffnet werden können:
Eine DANS.KIAS Produktion
In Koproduktion mit dem WUK performing arts.
Mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien, des Bundesministeriums für Kunst, Kultur,
öffentlicher Dienst und Sport.
Die Welt ist aus den Fugen geraten. Eine Menschengruppe strandet im Irgendwo zwischen den Weltmeeren. In ihrem Stück „da-nach“ lässt Choreografin Saskia Hölbling ihr Ensemble DANS.KIAS an der Grenze zwischen Dystopie und Utopie tanzen. Eine Gruppe von Menschen findet sich irgendwo auf einem der Weltmeere wieder zwischen Treibgut und Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Es ist unklar, was geschehen ist. Es wäre auch unerheblich für den Hergang der Geschehnisse. Jetzt sind sie jedenfalls da, umschwemmt von allem Möglichen. Ob sie sich erinnern, was sie vorher taten? Eher nicht. Oder doch? Von irgendwo her sickern Ahnungen durch.
Saskia Hölbling zeichnet in ihrer Arbeit eine Welt an der Grenze zwischen Dystopie und Utopie. In „da-nach“ katapultiert Hölbling ihr Ensemble hinaus aus einer Welt des Überflusses und der permanenten Vernetzung. Angekommen an diesem unbestimmten Ort, liegt es nun in ihren Händen, sich neu zu erfinden. Oder auch nicht.
Uraufführung: 1. März 2019, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste Wien, Wien/AT, Dauer: ca. 60 min.
Regie, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Anna Hein, Ardan Hussain, Jan Jakubal; Oskar Mitterer, Leonie Wahl; Musik, Komposition: Wolfgang Mitterer; Assistenz Musik: Moritz Cizek; Kostüm, Bühne: Gudrun Lenk-Wane; Licht: Reto Schubiger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Management: Simon Hajós
Ein Stück Hoffnung in der Apokalypse
Michaela Preiner, European Cultural News, 2. März 2019Gleich vorweg: „da-nach“ ist eine kleine, aber umwerfende Produktion (…) und: Man sollte sie sich nicht entgehen lassen, denn: So eine österreichische Tanzproduktion, die derart stimmig, gescheit, in sich schlüssig, mit einer tollen Choreografie und einem genialen Sound versehen ist, muss erst einmal gesucht werden. (…) Der Kreativität von Gudrun Lenk-Wane ist es zu verdanken, dass die Arte-povera-Requisiten nicht auf eine billige Produktion verweisen, sondern passend und immer wieder Staunen auslösend zum Einsatz kommen. (…) Das Großartige an dieser Produktion ist, dass sie ein Gesamtkunstwerk darstellt. Und zwar keines, das sich diesen Terminus protzend an die Marketingfahnen hängt. Bühne, Choreografie und Musik, aber auch die Dramaturgie der Geschichte an sich überzeugen ohne jegliche Abstriche. Sie ist hochaktuell, zugleich aber auch von archaischer Wucht. In „da-nach“ wird nüchtern dem triebhaften Menschsein eine zweite, ganz andere Seite gegenübergestellt, die in den derzeitigen Dystopiediskursen meist gar nicht vorkommt: Nämlich jene der Empathie, des gemeinsamen Tuns und Helfenwollens – was schließlich auch zum Überleben der Spezies Mensch in diesem speziellen Kontext beiträgt. Es mag wohl auch diese so erlösende Aussicht auf eine allerorten düster prognostizierte Zukunft sein, die dieses Stück zeitgenössischen Tanz so überaus beeindruckend erscheinen lässt. Chapeau, chapeau und: Danke dafür!
Leben im Treibgut
Oliver Lang, Kronenzeitung, 3. März 2019Irgendwo im Nirgendwo, verschollen und einsam, verloren - und doch nicht verloren: Das sind die Figuren in Saskia Hölblings einstündigen Tanzstücks „da-nach“. (…) Wolfgang Mitterer, einer der interessantesten österreichischen Komponisten, hat die Musikkulisse geschrieben, die so gefährlich, beklemmend, aufregend, aber auch immer irgendwie bekannt wirkt. (…) Hölbling entwickelt eine Figurenaufstellung, die tastend die neue Umgebung erforscht. (…) Was in einer knappen Stunde gelingt, ist eine gekonnt gemachte Studie des Menschlichen: Gemeinsam entwerfen die ausgezeichneten Tänzer eine düstere, aber nicht hoffnungslose Atmosphäre der Verlorenheit. Und schaffen eine Einheit in Hölblings Gestaltung, die in ihren Bann zieht!
Eine DANS.KIAS Produktion. Subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur. In Kooperation mit der Akademie der bildenden Künste. Mit freundlicher Unterstützung von ImPulsTanz - Vienna International Dance Festival.
Saskia Hölbling legt in ihrer Choreografie den Fokus auf all die Gegenstände, die sonst sooft unbeachtet bleiben. Sie lässt in ihrer Arbeit die Dinge buchstäblich aus der Reihe tanzen. Die ständig wachsende Anhäufung von Gegenständen nimmt Hölbling zum Anlass, ein Dispositiv zu schaffen, in dem sie sich all dieser Üppigkeit und Überwucherung annimmt.
Die Tänzerinnen Anna Hein, Leonie Wahl sowie die Tänzer Ardan Hussain und Jan Jakubal fordern
die Dinge zum Tanz auf. In der Bewegung finden die Gegenstände ihr Eigenleben, werden an die Körper montiert, um diese
drapiert, sie werden zu Landschaften oder Örtlichkeiten, Skulpturen oder Outfits. Ein inspirierendes Wechselspiel, das
immer wieder neue Situationen entstehen lässt.
Die Dinge nehmen Gestalt an, werden neu erfunden.
Die Grenzen zwischen Mensch und Gegenstand lösen sich auf.
Es kommt zu berührenden Begegnungen, fantastische Skulpturen formen sich, neue Welten entstehen,
ein unaufhörliches Entstehen und Vergehen, das uns in all ihrer Multitüde in Bann hält.
Uraufführung: 1. März 2018, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste Wien, Wien/AT, Dauer: ca. 80 min.
Regie, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Ardan Hussain, Jan Jakubal, Leonie Wahl, Anna Hein; Musik, Komposition: Wolfgang Mitterer; Assistenz Musik: Moritz Cizek; Kostüm, Bühne: Gudrun Lenk-Wane; Licht: Reto Schubiger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Management: Simon Hajós
Eigenleben der Dinge
Karl Heinz Roschitz, Kronenzeitung, 07. März 2018Es sind ganz gewöhnliche Alltagsgegenstände, die diesmal Hauptdarsteller der Performance werden: „things“, der neue Abend der Choreographin Saskia Hölbling, stellt im Semperdepot alles Unauffällige, vom Sonnenschirm bis zum Reifen, in den Mittelpunkt. Ein 80-minütiges Schau-Spiel mit zelebrierter Achtsamkeit. Surrend bläst der Ventilator über eine devastierte Mülllandschaft. Was da alles verstreut liegt! Doch alles kann zum Darsteller, ja Hauptdarsteller werden. Mehr noch: Jedes Ding hat das Zeug zum Fetisch, zum Kampfobjekt und zur Ikone. Nur weniges wird im Laufe des Abends tatsächlich so verwendet, wie es in der Betriebsanleitung steht. Doch darf alles in einem Fluss von Transformationen mitmachen. Es sind wundersame Bilder, die da entstehen: Weniger um die einzelne Bedeutung geht es als um die Gesamtwirkung.
Und die Tänzer? Auch sie wirken mitunter wie die Dinge, die sie bugsieren, bearbeiten und betreuen: Es sind weniger mit Eigenpersönlichkeit ausgestattete Darsteller als austauschbare Mitspieler, die dann und wann sogar zum Objekt werden, das vorgeführt und eingekleidet wird. Das alles hat der österreichische Komponist Wolfgang Mitterer mit bruchstückhafter Musik unterlegt. Da fliegen einem Zitate bekannter Werke von Strawinski bis Tschaikowski um die Ohren, um dann wieder in kleine Partikel zu zerfallen. Zuletzt: herzlicher Applaus!
Triumph der Paradiesvögel in ihrer Parallelwelt
Helmut Ploebst, Der Standard, 02 März 2018Was sich da an Zeug auf einem Tanzboden häuft, bildet ein kunstvoll arrangiertes Chaos. Hölbling und ihre vier Tänzer Ardan Hussain, Leonie Wahl, Jan Jakubal sowie Anna Hein machen kein Hehl daraus, dass sie diese Landschaft aus Plastikplanen, Schläuchen, Sturzhelmen, Behältern, Koffern, Säcken et cetera beherrschen. (…)
Citizen Kane wurde, wie sich in Orson Welles' Film von 1941 herausstellt, zum Messie auf der Suche nach dem Symbol seines verlorenen Kinderglücks – einem Schlitten der Marke Rosebud. Ein ähnlicher Holzschlitten findet sich auch unter Hölblings Dingen. Das könnte eine Anspielung auf "Citizen Kane" sein. Zumal die schöne Anfangsszene des Stücks in ein Licht getaucht ist, das die Bühne in ein beinahe perfektes Schwarzweißbild verwandelt und Wolfgang Mitterers mit diesem Bild einsetzende Komposition an eine Filmmusik erinnert. (…) Die Poesie ermöglicht den Triumph des Menschen über den Mahlstrom der ihn umschwirrenden Dinge. Das poetische Spiel kann ihn davor bewahren, von diesem Wirbel in den Hades der Depression gezogen zu werden.
Eine DANS.KIAS Produktion,
unterstützt von der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundeskanzleramt für Kunst und
Kultur.
Ein Geflecht aus Seilen spannt sich zwischen den gusseisernen Säulen des historischen Bühnendepots. Dieses Netzwerk ist Rahmen und Basis für eine kleine „Weltmaschine“, wie die Wienerin Saskia Hölbling ihre Choreografie für vier Performer_innen nennt. Die Tänzer_innen begegnen der raumgreifenden Vernetzung von Gudrun Lenk-Wane mit äußerstem Geschick. Im Zusammenhalt und Auseinanderdriften der Gruppe treten Kräfte zutage, die – changierend zwischen Intimität und Bedrohung – das Bild über die „Anderen“ in steter Bewegung halten und, begleitet vom eindringlichen Sound des Komponisten Wolfgang Mitterer, mitunter auch an den Rand des Kollaps führen. In „corps suspendus“ verspannt, exponiert, verbindet, rafft, behindert oder vernetzt Saskia Hölbling vier Tänzer durch ein Geflecht aus Seilen.
Der Blick in die Welt drängt: Er hinterlässt einen beunruhigenden, fast besorgniserregenden Eindruck: die Vielen, die unterwegs sind, die Vielen im Treibsand zwischen Erfolg und Überflüssigkeit, die vielen Trumps, die vielen Ungesichter, die vielen ideologisch Verrohten, die vielen Ichs zwischen Konsum-Oasen und Müllhalden. Diese Vielen sind immer Andere. Weit genug weg, um vom Anderen zu sprechen, jedoch nahe genug, um sich „bedroht“ zu fühlen.
Uraufführung: 3. März 2017, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste Wien, Wien/AT, Dauer: ca. 60 min.
Regie, Choreografie, Inszenierung: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Ardan Hussain, Jan Jakubal, Leonie Wahl, Anna Hein; Musik, Komposition: Wolfgang Mitterer; Musik Assistenz: Moritz Cizek; Kostüm, Bühne: Gudrun Lenk-Wane; Licht: Gerald Pappenberger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Management: Simon Hajós
Die lösungsorientierte Vernetzungsmaschine
Helmut Ploebst, Der Standard, 07. März 2017Beeindruckende Uraufführungen von Saskia Hölbling im Semperdepot Es ist eine Falle. Zwei Männer und zwei Frauen verheddern sich in einem großen Netz aus schwarzen Stricken, das eine verborgene Arachne in einen weiten, unheimlichen Raum gespannt hat. Diese Installation hat sich die Wiener Choreografin Saskia Hölbling für ihr neues Stück "corps suspendus" von Gudrun Lenk-Wane in eine Halle des ehemaligen Semperdepots montieren lassen. Organisiert wurde die Uraufführung von ImPulsTanz, die hintergründigen Klanggewebe darin stammen von Wolfgang Mitterer. Die versteckt bleibende Spinnerin ist der Schlüssel zu diesem Stück, mit dem auf die Verödung des großen Vernetzungsenthusiasmus der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte angespielt wird: Auf die, wie Hölbling zu dieser Arbeit schreibt, "vielen Ichs zwischen Konsum-Oasen und Müllhalden" und auf "die Vielen im Treibsand zwischen Erfolg und Überflüssigkeit". Anzunehmen also, dass die abwesende Arachne hier für das steht, was bei unserem globalisierten Netzwerkgetriebe im Verborgenen die Fäden zieht und davon profitiert. In den Netzen der Profiteure treiben die Überflüssigen in Gestalt von vier "corps suspendus". Das französische Wort suspendre bedeutet auf- oder abhängen, aber auch unterbrechen, verschieben oder sperren. Die Figuren in Hölblings Gespinst sind definitiv Angehängte, die sich ihres Abgeschobenseins noch nicht bewusst sind. Sie hangeln in ihrem gefährlichen Habitat, drängen sich manchmal zusammen, verlieren einander jedoch schnell wieder, geraten auf den Boden, ohne diesen wirklich wahrzunehmen. Sie können vom Netz nicht lassen, denn es ist ein Fetisch, der seine Bewohner benommen macht. Hölbling nennt es "eine kleine Weltmaschine". Die darin Abgehängten tragen das Schwarz dieser Maschine, die sie nie ins Gleichgewicht kommen lässt, die weder Halt noch Ruhe erlaubt und die suggeriert, es gäbe kein Außen.
In der Weltmaschine
Karl-Heinz Roschitz, Kronen Zeitung, 05. März 2017Zwischen gusseisernen Säulen im Parterresaal des historischen Semperdepots in der Lehárgasse sind Seile gespannt. Ein Dickicht, in dem vier PerformerInnen eine Art Überlebenstraining üben. Sie sind in Saskia Hölblings „Weltmaschine“ geraten und zeigen - als ImPulsTanz Special - das Stück „corps suspendus“. Choreografin Saskia Hölbling lässt den Zuschauer da immer wieder etwas unbestimmtes Bedrohliches spüren. Gefahr! So zitiert sie erklärend das Spannungsfeld „zwischen Konsum-Gassen und Müllhalden“, das Unterwegssein im „Treibsand zwischen Erfolg und Überflüssigkeit“, die vielen „Trumps und Ungesichter“ in einer ideologisch verrohten Welt. Wir sind „ausgeliefert der Weltmaschine“, in deren Netzwerk schwarz gekleidete Tänzer vorsichtig durchrobben und sich durchmanövrieren, um nicht abzustürzen. Gudrun Lenk-Wane entwarf für dieses Spiel vom Überleben das Netzwerk aus Seilen, die im Säulengestänge verankert sind. Mit erstaunlicher Sicherheit und Eleganz turnen, robben, klettern, hanteln die vier Performer durch das Netzwerk. Und lassen dabei durchaus literarische Bezüge erkennen - unwillkürlich erinnert man sich der Nornen in Wagners „Götterdämmerung“, die Schicksalsseile ziehen und Netzwerk spinnen. Allerdings beschwört Hölbling nicht die Wagnersche Katastrophe, das Reißen des Seils, das das Ende der Alten Welt ankündigt. „corps suspendus“ - so der lateinische Titel - zeigt das Ausgeliefertsein an die Weltmaschine, in der die vier - Anna Hein, Leonie Wahl, Jan Jakubal, Ardan Hussain - auf Sinnsuche und Bestätigung ihrer Existenz unterwegs sind. Wolfgang Mitterer, prominenter Organist, Elektroniker und Komponist, gestaltete die Musik vom Band: Ein Wechselbad aus raffinierten Klängen, Farben, Instrumententönen, Geräuschen, ein kunstvoll gestaltetes, in sich beziehungsreiches Klangnetzwerk für Hölblings Inszenierung und Choreografie. Viel Beifall.
Eine DANS.KIAS Produktion unterstützt von der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur, in Kooperation mit ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival und der Akademie der bildenden Künste Wien.
Saskia Hölbling verwebt in „corps à corps“ Gedanken des französischen Philosophen Jean-Luc Nancy
und behandelt mit ihrer
zeitgenössischen Tanzperformance brandaktuelle Themen unseres Weltgeschehens in abstrakter und
intensiver Form.
„Unsere Milliarden Bilder zeigen uns Milliarden Körper – wie Körper noch nie gezeigt wurden.
Massen, Haufen, Gemenge,
Bündel, Kolonnen, Aufläufe, Gewimmel, Armeen, Banden, Auflösungen, Paniken, Sitzreihen,
Prozessionen, Zusammenstöße,
Massaker, Leichenberge, Kommunionen, Streuungen, ein Übervolles, ein Überlaufenes von Körpern,
stets zugleich in
kompakten Massen und in stäubendem Umherirren, ... einer Hetze überlassen, die sie strukturiert,
einem unablässigen
verallgemeinerten Aufbruch ...“
Jean-Luc Nancy
Uraufführung: 25. Februar 2016, Odeon, Wien/AT
Dauer: ca. 80 min.
Regie, Choreografie, Inszenierung: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Adriana Cubides, Ardan Hussain, Jan Jakubal, Leonie Wahl; Dramaturgie: Florian Tröbinger; Musik, Komposition: Wolfgang Mitterer; Musik Assistenz: Moritz Cizek; Puppenbau, Kostüm, Bühne: Gudrun Lenk-Wane; Licht: Gerald Pappenberger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Management: Simon Hajós
Leben als Skulptur
Karlheinz Roschitz, Kronen Zeitung, 28. Februar 2016Vier TänzerInnen erobern mit kreisenden Bewegungen den Bühnenraum. Die Szenen verdichten sich. Menschliche Körper und ausgezehrte Marionetten geraten aneinander, werden zum Knäuel, zum Menschen-Müllhaufen, zur vibrierenden Skulptur: Saskia Hölbling zeigt im Odeon ihr neues Stück „corps à corps“. Bald hängen die vier - Adriana Cubides, Ardan Hussain, Jan Jakubal, Leonie Wahl - und ihre kopflosen Puppen wie tot in den zwei fahrbaren Stahlgestellen, bald turnen sie auf und zwischen den Stahlrohren, balgen oder verknoten sich in einem Haufen.
Wie Untote tauchen sie aus der Dunkelheit auf uns manipulieren ihre Doubles. Und Wolfgang Mitterers spannende kompositorische Arbeit voll raffinierter Strukturen, Klangfarben und Geräuschen verdichtet die Bilder. Manchmal wie in einem Gruselfilm. Eine Szenerie irrlichternder Gestalten in einer Tod inhalierenden Welt. Atmende Totenberge! Voll dunkler, Schreckliches ahnbarer Momente. Man kann diesen Tanz aber auch nur vom choreografischen Konzept Saskia Hölbling her sehen: Als Bewegungsspiele, die ihre Spannung aus Verdichtung und Auflösung, aus dem gegensatzvon Mensch und Nicht-Mensch und der gegenseitigen Beeinflussung sehen. Spannend!
Tote Puppen bleiben immer locker
Helmut Ploebst, Der Standard, 28. Februar 2016Hölbling hat auf zwei ihrer früheren Werke zurückgegriffen: "assemblage humain", ein Solo mit Puppe, das ImPulsTanz im Vorjahr zeigte, und auf das mit dem französischen Künstler Laurent Goldring entstandene "body in a metal structure" von 2012. Aus einer weißen Puppe sind bei "corps à corps" vier geworden und aus einer Metallstruktur zwei Gestelle. Auf der Bühne konfrontieren sich zwei Frauen – exzellent: Adriana Cubides – und zwei Männer mit den lebensgroßen Gliederfiguren.
Der Tanz ist ein Antipode zum Posthumanismus, darauf baut auch Saskia Hölbling. In "Corps à Corps" liegt der dem Zeitgeist entsprechende Jammer um den anfälligen und sterblichen Körper fern. (…) In seiner zweiten Hälfte wird das Stück zunehmend planlos. Möglicherweise ist das Absicht. Denn es könnte sein, dass die Choreografin so die Plan- und Ratlosigkeit widerspiegeln will, mit der menschliche Körper sich selbst und ihrer Organisation gegenüberstehen. Wenn das stimmt, wäre "corps à corps" ein gelungenes Statement, das diese Verwirrung nur nicht radikal genug vorträgt. Der Tanz endet im Aufgeben vor unlösbaren Problemen. Die bis zur letzten Sekunde überzeugende Musik kommt von Wolfgang Mitterer, von Gudrun Lenk-Wane die Puppen, und Gerald Pappenberger ist für das im Rhythmus ständig drohenden Verlöschens komponierte Licht verantwortlich.
Eine DANS.KIAS Produktion. Mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur.
Zum 20-jährigen Jubiläum von DANS.KIAS werden erstmals alle „Squatting Projects“ an einem Ort gezeigt – in der
Expedithalle der Ankerbrotfabrik.
Mit den „squatting projects“ startete DANS.KIAS eine Serie von Tanzperformances in öffentlichen Räumen (in- und
outdoor), die in Theatern, wie Museen, Flughäfen, oder Bahnhöfen, genau so wie in weiterer Konsequenz an öffentlichen
Plätzen oder Arealen stattfinden können.
Ziel ist, durch Andocken einer Performanceunit, das urbane Umfeld mit subversiven Körperbildern bzw. potentiellen
Körpervisionen anzureichern.
Den Start der „squatting projects“-Serie machte die Arbeit „body in a metal structure“; gefolgt von „bodies (with)in
fences“ und „bodies in tubes“.
Die „Squatting Project“-Idee: Eine nomadische Guerrilla-Bühne
Durch eine mobile Performanceeinheit soll die Idee von Bühne in ihrer zeitgenössischen Dimension in öffentliche Räume
extrapoliert, also in die urbane Realität implantiert werden.
Ein zwangloses Performanceappointment, das sich parasitär an Orten ansiedelt, an denen es eigentlich fehl am Platz ist,
bzw eine vorhandene Struktur besetzt und an ihrer Infrastruktur schmarotzt.
Konstruiert, behaust und betätigt von Performern, deren Aktionen Körper und Umfeld immer wieder aufs Neue in Relation
setzen, in Bewegung bringen und dabei ganz diskret Akte des zivilen Ungehorsams setzen.
Anders formuliert:
Ein Hybrid, das zwischen Umwelt, Gesellschaft und Kultur vermittelt
Ein zeitweilig implantiertes, performatives Artefakt, das dazu gemacht ist, festgefügte Denkgefüge und vermeintliche
Harmonien zu stören, bzw. vordergründig stimmige Gefüge in Frage zu stellen.
Eine neue Form der Kunstokkupation in durchorganisierten Ballungsräumen
Eine wandelnde Kult-, Kultur- und Behausungsstätte.
Premiere: 18. - 20. Juni 2015, Expedithalle / Loftcity, Wien/AT
Dauer: ca. 80 min.
body in a metal structure
Choreografie, Inszenierung: Saskia Hölbling und Laurent Goldring; Tanz, Performance: Saskia Hölbling; Skulptur, Performance-Gerüst: Gudrun Lenk-Wane; Musik, Ton: Nik Hummer; Licht: Reto Schubiger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Produktion, Management: Simon Hajós
bodies (with)in fences
Choreografie, Inszenierung: Saskia Hölbling und Laurent Goldring; Tanz, Performance, Choreografie: Saskia Hölbling, Rotraud Kern, Franco Senica; Raum: Laurent Goldring, Gudrun Lenk-Wane; Musik, Ton: Nik Hummer; Licht: Reto Schubiger;Videodokumentation: Peter A. Egger; Produktion, Management: Simon Hajós
bodies in tubes
Choreografie, Inszenierung: Saskia Hölbling und Laurent Goldring; Tanz, Performance, Choreografie: Saskia Hölbling, Rotraud Kern; Raum: Laurent Goldring, Gudrun Lenk-Wane; Kostüm:Gudrun Lenk-Wane; Musik, Ton: Nik Hummer, Michael Moser; Licht: Reto Schubiger;Videodokumentation: Peter A. Egger; Produktion, Management: Simon Hajós
Saskia Hölbling - 20 Jahre DANS.KIAS
Ditta Rudle, tanz.at, 15. Juni 20151995 zeigte Saskia Hölbling ihre erste Choreografie und gründete ihr Ensemble DANS.KIAS. Damals war die Tänzerin und Choreografin 24 Jahre alt. Seitdem hat sie mehr als 30 Stücke choreografiert und inszeniert. Grund genug das Jubiläum zu feiern. DANS.KIAS tut das in der ehemaligen Ankerbrotfabrik mit den dreiteiligen Squatting Project. Die riesige Expedithalle rückt die Körper in den Installationen in neues Licht und erlaubt neue Perspektiven.
Saskia Hölbling hat sich einen Traum erfüllt: „body in a metal structure“, „bodies (with)in fences“ und „bodies in tubes“ an einem Abend zu zeigen. Was die Installationen aus rohen Baumaterialien (neben der „metal structure“, einer Installation von Gudrun Lenk-Wane, auch eine nahezu unendliche Reihe von Drahtzäunen und Schüttkübel aus Plastik, bodenlos durch Ketten zu einem Kletterturm verbunden) betrifft, so funktioniert das bestens. Schon bevor die Vorstellung beginnt (und auch danach) kann man sie umrunden, untersuchen, kennen lernen. Damit weder die schwer arbeitenden Mitwirkenden (Saskia Hölbling, Rotraud Kern, Franco Senica) noch die Zuschauerinnen überfordert werden, sind die drei Teile auf eine gute Stunde reduziert.
Hölbling zäumt das Pferd am Schwanz auf, beginnt in den Tubes in dem sie mit Kern ein Schauspiel des Täuschens und Tarnens bietet. Nur ein Haarschopf ragt aus dem Kübel, dann wieder vier Beine und zwei Arme – Steißgeburt, Kopfgeburt, Gliedergeburt. Arme und Beine schimmern weiß im Scheinwerferlicht, die schwarzen Kübel an den Ketten sind instabil, pendeln und schaukeln und gestatten es den beiden Frauen, unverhofft auf einander zu zu schwingen, die Gesichter nah, bereit zum Kuss. Da kämpft Senica, wie später auch die Tänzerinnen ganz in Leder, mit Stiefeln und Handschuhen gerüstet, bereits (in) mit den Zäunen. Bald sind sie zu dritt, arbeiten sich durch den klirrenden und klappernden Weg. Köpfe tauche auf, Hinterteile, Arme, Beine, schwarz jetzt,. Wenn das Scheppern sich beruhigt, dann ruhen auch die Kämpfenden einige Sekunden, der Atem ist die Musik. Die aber, von Klangkünstler Nik Hummer komponiert, konzipiert und live betreut, wird immer lauter, bedrohlicher. Jetzt wird nicht mehr gegen die Drahtgestelle gekämpft sondern ums Leben.
Schließlich bleibt Hölbling allein in ihrer metallenen Struktur, die aus verkabelten Röhren besteht, die durch eine ausgefeilte Klanginstallation von Hummer zu jammern und zu weinen scheint , als wäre sie mit der Inbesitznahme durch den menschlichen Körper gar nicht glücklich. Doch wie sich der biegsame Körper mit der sperrigen Materie befreundet, so nimmt auch diese den Eroberer an. Fast schnurrt sie am Ende. Die Tänzerin weiß auch zu verführen, hat das schwarze Gewand abgeworfen, pendelt kopfüber in reizender Spitzenunterwäsche.
Nicht enden wollender Applaus. Jubiläum eben und auch „expositions corps“. Saskia Hölbling ist sich treu geblieben, auch wenn sie aus Lust am Neuen den Boden verlassen hat.
Eine DANS.KIAS Produktion. DANS.KIAS wird subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur.
In ihrer Arbeit „assemblage humain“ zeigt die Choreografin Saskia Hölbling Collagen des Menschlichen, die,
nicht bruchhaft gesetzt sind, sondern fließend angeordnet und Zeit für Berührungsräume geben. Zeitgenössisch cool, aber
ohne Angst vor Expressivität. So werden zwei Welten nebeneinander gestellt.
Dystopisch, existentiell die erste. In einem archaischen Umfeld aus Filz, Holz, Leder und Leinen treffen Performerin und
eine lebensgroße menschliche Figur aufeinander und entwerfen gemeinsam mit den Objekten Decke, Sessel, Besen, Stock und
Jacke Assemblagen der elementaren menschlichen Beziehungen: zu Diesseits und Jenseits, Leben und Tod, Krieg und Trauer,
Liebe und Zärtlichkeit, Ekstase, Tätigkeitsritualen und Absurditäten - ein Guernica wo Pferd und Stier, wo Tod und
Mädchen immer wieder miteinander zu tun haben.
Das Stück bricht, die zweite Welt stülpt sich auf die Überreste der ersten. Ebenso dystopisch, aber exponierter, greller. Ein Akt des Ausweidens eröffnet, bunte Plastikplanen und Kunststoffe kommen zum Vorschein, ein Haufen Trash. Die Assemblagen hier sind künstlicher, schriller, poppiger: Den Plasitkhäuten entstiegen, beginnt ein Defilee der Fundstücke und steigert sich in einen orgiastischen Tanz der Materialien, die den Körper schließlich verschwinden lassen.
Showing: 13. Februar 2015, Proberaum Neue Oper Wien, Wien/AT
Uraufführung: 20. Mai 2015, Musica_Electronica_Nova/National Forum Of Music, Breslau/PL
Dauer: ca. 50 min.
Choreografie, Tanz: Saskia Hölbling; Assistenz Choreografie: Rotraud Kern; Musik: Wolfgang Mitterer; Musik Assistenz: Moritz Cizek; Ausstattung: Gudrun Lenk-Wane; Licht: Gerald Pappenberger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Management: Simon Hajós
Puppen und Schamanen
Silvia Kargl, Kurier, 25. Juli 2015Erstmals in Österreich zeigte Saskia Hölbling ihr Stück „assemblage humain“ im Rahmen von ImPulsTanz im Schauspielhaus. Eine Arbeit in der Hölbling zuletzt eingeschlagene Pfade des MinimalMovement verlässt. Auch die Musik von Wolfgang Mitterer hat Anteil daran, dass dieses „relative Solo“ mit zwei Puppen weg von Hölblings abstrakten und formalen Choreografien führt.
Gudrun Lenk-Wane gestaltete zwei unterschiedliche, lebensgroße Puppen, die aus dem Solo ein Trio machen. Die erste Puppe erinnert an ein Skelett. Hölbling erkundet sie genau. Siewird mit Ängsten in Verbindung gebracht, hart angefasst, könnte auch die Erinnerung an einen Toten sein, der als stummer Partner und Zuschauer präsent ist.
Die zweite Puppe trägt einen schwarzen Anzug und ist deutlich „muskulöser“. Da wird die Beziehung zur Tänzerin zugleich menschlicher und sexualisierter, wenn Hölbling in einen Bewegungsrausch mit den bunten Folien-Eingeweiden der Puppen gerät.
Eine DANS.KIAS Produktion. Mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien.
In „bodies in tubes“ wird eine Installation aus Schuttrutschen zum Dispositiv der aktuellen Kreation von Saskia Hölbling
und Laurent Goldring. Nach „body in a metal structure“ und „bodies (with)in fences“ bildet „bodies in tubes“ den dritten
und letzten Teil der "Squatting Projects".
Wie im Trockenen hängt ein vertikales Röhrensystem im Bauch eines Raumes, sezierter Ausschnitt der pulsierenden Adern
unserer Stadt, die in endlosen Verbindungen unsichtbare Hohlräume in unseren Boden treiben.
In diesem organischen Exposé durchforsten zwei Körper die Leitsysteme der Zu- und Abflüsse, den Wildwuchs der Ein- und
Ausstiege, die vielen Umwege und Abzweigungen. Sie stoßen auf Sackgassen, stoßen aufeinander, verkeilen sich in Nischen
und quellen aus Zwischenräumen, werden absorbiert oder ausgeworfen.
Hier laufen die Grenzen anders. Beklemmung und Schutz reichen sich die Hand, Innen und Außen verschwimmen, Organizität
und Künstlichkeit bilden einen neuen Organismus. Hier kann Plastik atmen, der menschliche Körper wird zum Aspekt, zum
Segment eines Überkörpers. Er wird zum Teil eines Territoriums, das niemandem gehört.
Sichtbar sind die Auswirkungen und Echos der Bewegungen.
Uraufführung: 10. Oktober 2014, TQW - Tanzquartier Wien, Wien/AT
Dauer: ca. 50 min.
Choreografie, Inszenierung: Saskia Hölbling, Laurent Goldring; Tanz, Performance, Choreografie: Saskia Hölbling, Rotraud Kerrn; Raum: Laurent Goldring, Gudrun Lenk-Wane; Kostüm: Gudrun Lenk-Wane; Musik, Ton: Nik Hummer, Michael Moser; Licht: Gerald Pappenberger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Management: Simon Hajós
Die Verbrechen der Effizienz und des Sieges
Helmut Ploebst, Der Standard, 13. Oktober 2012Zwei Körper versuchen, sich in eng aneinandergehängten Schuttrutschen zu halten.Wie in ihren beiden Vorgängerarbeiten, "body in a metal structure" und "bodies (with)in fences", lässt Hölbling auch hier dem Unheimlichen seinen scheinbar abstrakten Lauf. Wieder ein Gestell, aus dem der Körper nicht herausfindet. Doch hier wird das Klaustrophobische unserer Existenz am Radikalsten sichtbar gemacht: als Körper, die nur noch Abraum der sie beherrschenden Systeme sind.
Der Tanz ist ein Antipode zum Posthumanismus, darauf baut auch Saskia Hölbling. In "corps à corps" liegt der dem Zeitgeist entsprechende Jammer um den anfälligen und sterblichen Körper fern. (…) In seiner zweiten Hälfte wird das Stück zunehmend planlos. Möglicherweise ist das Absicht. Denn es könnte sein, dass die Choreografin so die Plan- und Ratlosigkeit widerspiegeln will, mit der menschliche Körper sich selbst und ihrer Organisation gegenüberstehen. Wenn das stimmt, wäre "corps à corps" ein gelungenes Statement, das diese Verwirrung nur nicht radikal genug vorträgt. Der Tanz endet im Aufgeben vor unlösbaren Problemen. Die bis zur letzten Sekunde überzeugende Musik kommt von Wolfgang Mitterer, von Gudrun Lenk-Wane die Puppen, und Gerald Pappenberger ist für das im Rhythmus ständig drohenden Verlöschens komponierte Licht verantwortlich.
Bewegte Installation: Saskia Hölbling im Tanzquartier
Silvia Kargl, Kurier, 12. Oktober 2014"bodies in tubes", das neue Stück von Saskia Hölbling im Tanzquartier, ist zugleich Abschluss der Serie "Squatting Projekts", die in Zusammenarbeit mit Laurent Goldring entstand. Die Projekte thematisieren das Verhältnis von Körpern zum urbanen Raum. Diesmal steht eine Installation mit Schuttrutschen von Goldring und Gudrun Lenk-Wane auf der Bühne. Die interessante Choreografie ist im Halbdunkel nur schemenhaft erkennbar. Hölbling und Rotraud Kern füllen die beweglichen Rohre ("tubes"), verschwinden darin, als ob sie Schutz suchen. Körperteile ragen heraus, bis die Performerinnen jede Fuge der Installation erkunden. Dabei verstärkt sich der Eindruck eines Raumes, der sich wie eine Zwangsjacke über ihre Körper stülpt
Eine DANS.KIAS Produktion. Koproduziert von dem Tanzquartier Wien und dem Centre Chorégraphique National de Franche-Comté à Belfort, unterstützt von den Salinen Royale der Ars-et-Senans im Rahmen des Odyssée Residency Program. Mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur.
In „bodies (with)in fences“ begeben sich Saskia Hölbling und Laurent Goldring auf die Suche nach neuen Ankern und
Territorien, ohne dabei mit den schrillen Verführungsstrategien des urbanen Raums in ihrer Grobheit konkurrieren zu
wollen. Der Aktionsraum liegt abseits von jeglichem Glamour und Luxus, weit entfernt von jeder „comfort-zone“.
Ein Monument aus Baugittern erschließt - ganz in seiner Funktion als multiple Barriere - Räume und Volumen der
Ausschließung oder des Ausstellens. Es entwirft eigene Leitsysteme oder zieht Wände hoch.
Mitten in dieser monumentalen Skulptur, die fast unüberwindbare Grenzen setzt,
machen sich drei Körper daran, ihr rigides Umfeld unaufhörlich und immer wieder zu sezieren; sie ackern sich durch
vielschichtige Barrieren und halten dadurch das System in Atem.
Saskia Hölbling und Laurent Goldring kreieren mit „bodies (with)in fences“ ein delikates aber geräuschvolles Stück, das
durch einen unauswegsamen Regelkreis ein Perpetuum mobile entwirft, das notgedrungen in eine Sackgasse führt.
Nach „body in a metal structure“ gehen mit „bodies (with)in fences“ die „Squatting Projects“ in die zweite Runde.
WIEDERAUFNAHME
bodies (with)in fences 07. - 10. März 2024 20h / im Rahmen der „Living Positions" im Odeon Theater Wien
Uraufführung: 23. Januar 2013, WUK, Projektraum, Wien/AT
Dauer: ca. 50 min.
Choreografie, Inszenierung: Saskia Hölbling, Laurent Goldring; Tanz, Performance, Choreografie: Saskia Hölbling, Rotraud Kerrn, Franco Senica; Raum: Laurent Goldring, Gudrun Lenk-Wane; Kostüm: Gudrun Lenk-Wane; Musik, Ton: Nik Hummer; Licht: Reto Schubiger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Management: Simon Hajós
Brillant: Das Tanzstuck "bodies (with)in fences" von Saskia Holbling und Laurent Goldring
Helmut Ploebst, Der Standard, 25. Jänner 2013Unsere Gesellschaft ist eine permanente Baustelle. Eine, die auf allen Ebenen von Zäunen durchzogen und mit Gittern gesichert wird. Wie sich diese Politik der Sperrung anfuhlt, veranschaulichen die osterreichische Choreografin Saskia Holbling und der franzosische Kunstler und Philosoph gerade mit ihrem beklemmenden Tanzstuck "bodies (with)in fences" im Wiener Wuk.
Das Setting bleibt auf das Wesentliche reduziert. Etwa 40 Gitterfelder, knapp hintereinander aufgestellt, bilden die Buhneninstallation. Auf und in diese sind zwei Frauen, Rotraud Kern und Holbling, sowie ein Mann, Franco Senica, verbannt. Es gibt ganz offensichtlich kein Entrinnen.
Dem Publikum wird bald klar, dass diese Installation drei Parallelwelten verbindet. Denn die Choreografie darin ist zwar darauf angelegt, als Statement zur Gesellschaftspolitik gelesen zu werden, funktioniert aber auch als existenzialistische Metapher im Sinn von Jean-Paul Sartres Geschlossene Gesellschaft. Auch dort geraten zwei Frauen und ein Mann in eine Holle der Sperrung. Auf einer dritten Ebene bringt "bodies (with)in fences" die Vergitterungen der menschlichen Psyche ins Spiel.
Die drei Figuren versuchen erst, sich an der Oberflache des Gitterfeldes zu halten, dringen dann aber doch in die engen Zwischenräume ein. Dabei zerhackt das Scheppern der Gitter die nüchternen Soundspharen von Nik Hummer. Die wechselnden Lichtebenen zeigen: Welche Perspektive auch eingenommen wird, die Unentrinnbarkeit bleibt.
Ohne Berg und Stein bewegt ein dreifacher Sisyphos nur sich selbst - und das auf der Stelle. Fur ihn gilt der Satz von Albert Camus, man musse sich Sisyphos "als glucklichen Menschen vorstellen", nicht. Eine radikale Position. Diese Arbeit positioniert sich konsequent außerhalb der "Matrix" - also des Gitters - von Entertainment und Politspektakel, deren Zaune sich durch die Psychen und Existenzbedingungen aller ziehen, die in ihr durchs Leben turnen.
Nach "body in a metal structure" ist "bodies (with)in fences" die zweite Zusammenarbeit von Saskia Holbling und Laurent Goldring. Das erste Stuck war schon ein Erfolg. Das neue nun trifft so richtig ins Schwarze.
DANS.KIAS - bodies (with)in fences
Ditta Rudle, tanz.at, 26. Jänner 2013In einer Installation aus Baugittern arbeiten drei Körper, untersuchen die Möglichkeiten der Fortbewegung, überwinden Barrieren und sind am Ende dort, wo sie begonnen haben. Saskia Hölbling und Laurent Goldring haben auch die zweite Folge ihres „Squatting Projects“ für den öffentlichen Raum konzipiert, um das urbane Umfeld zu bereichern. Die Premiere fand im Projektraum des WUK statt.
Sisyphos heute. Die Metallgitter sind fragil, stehen zwar festgemauert am Boden, schwanken und schwingen dennoch, wenn sich Saskia Hölbling, Rotraud Kern und Franco Senica auf und zwischen ihnen bewegen. So wie die Körper ihren (vergeblichen) Parcours beginnen, oben auf den schmalen Stangen der Zäune, entwickelt sich die gesamte Performance. Als Gratwanderung. Dreifach müht sich Sisyphos auf dem Grat, ohne Ausweg ohne Ziel. Gefährlich und überaus anstrengend sieht es aus, was die drei PerformerInnen sich antun – ein Kampf mit den Gitterzäunen, die von der Künstlerin Gudrun Lenk-Wane so dicht aneinander gereiht sind, dass keine Gassen entstehen, durch die man fliehen könnte. Kaum je berühren die Drei den Boden, hängen hingegen kopfüber im Gestänge, wursteln sich darüber und darunter, begegnen und behindern einander, wirken wie ein sechsbeiniges Tier, das die Zuschauerinnen auf der anderen Seite der Installation vermutlich als dreiköpfig erleben. Mitunter blitzt das Bild einer Liebesgeschichte auf, zwei Frauen, ein Mann. Doch gleich zerfällt es wieder, jede(r) kämpft für sich allein. Sieger bleibt das kalte und zugleich doch schmiegsame Gebilde aus Gitterzäunen. Wenn diese Zäune erklommen und bestiegen werden, klingen und scheppern sie und ergänzen die, je nach dem Energiefluss der PerformerInnen, an- und abschwellende Toncollage von Nik Hummer. Reto Schubiger beteiligt sich am Geschehen mit differenziertem Licht. Bewegen sich die Körper im Takt von Licht und Ton oder geben sie mit dem vibrierenden Klingeln der Metallgebilde den Rhythmus für Musik und Sound, Licht und Dunkel an? Das perfekte Zusammenspiel aller an diesem klug erdachten Konzept lässt die Frage unbeantwortet.
Eine durch ihre Schwierigkeit und den körperlichen Einsatz aufregende Performance, die im freien Raum (innen oder außen) noch intensiver zu erleben wäre. Im kleinen Projektraum des WUK ist das Publikum auf zwei Seiten der Installation aufgeteilt und sieht quasi nur die Hälfte der bewegten Körperbilder. Herumgehend immer wieder die Perspektive zu ändern, würde höheren Gewinn bringen. Die nächsten Aufführungen des eindrucksvollen Projekts stehen noch nicht fest, doch werden die „Körper (mit) in Zäunen“ im Lauf des Jahres sicher (wie ja der erste Teil des „Squatting Projects“ von Hölbling/Goldring „body in a metal structure“ auch) an mehreren Orten, mit oder ohne Dach darüber, zu sehen sein.
Eine DANS.KIAS Produktion. In Kooperation mit dem Werkstätten- und Kulturhaus WUK. Mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport.
„body in a metal structure“ bildet den Start der „Squatting-Projects“, einer Serie von Tanzperformance-Appointments, die
sich parasitär an Orten ansiedeln, an denen sie eigentlich fehl am Platz sind, indem sie vorhandene Strukturen besetzen
und an ihren Infrastrukturen schmarotzen: Ein unauffällig unnützes Baugerüst, gleichzeitig mobile Skulptur und
Performancestätte, reiht sich in den Wildwuchs von Baustellen, die angesichts ihrer Omnipräsenz bereits unserem
Wahrnehmungsfeld entschwinden.
Im Zentrum dieser Skulptur, die immer ein wenig fehl am Platz wirkt, macht sich ein Körper daran, die Beziehungen zu
seinem urbanen Umfeld zu dekonstruieren, wobei er ganz diskret Akte des zivilen Ungehorsams setzt.
In einer Welt aus Autostraßen, grauen Hausfassaden und Baustellen die zu Brachstätten beschleunigt ganz in Werbeflächen
aufgehen, groß ausgestellt und von Lichtern zelebriert, um die globalen Bedürfnisse in fortwährenden Konsum zu wandeln,
besetzt ein Körper diese Achsen des dirigierten Durchflusses.
Macht sich Stahlrohre und scharfe Kanten, herausstehende Schraubenschafte und aufspringende Metallgelenke zueigen,
montiert sie zu seinem Heim, kreiert seine eigene Architektur des Begehrens
und entwickelt sein eigenes Delirium zwischen Haut und Metall
Saskia Hölbling und Laurent Goldring kreieren mit „body in a metal structure“ ein delikates und stilles organisches
Manifest inmitten funktioneller Strukturen, eine neue Form der Kunstokkupation in durchorganisierten Ballungsräumen.
Vor-Premiere: 18. Jänner 2012, WUK, Projektraum, Wien/AT
Uraufführung: 03. Mai 2012, donaufestival, Stadtpark Krems, Krems/AT
Dauer: ca. 60 min.
Choreografie, Inszenierung: Saskia Hölbling, Laurent Goldring; Tanz, Performance, Choreografie: Saskia Hölbling, Rotraud Kerrn; Raum: Laurent Goldring, Gudrun Lenk-Wane; Kostüm: Gudrun Lenk-Wane; Musik, Ton: Nik Hummer, Michael Moser; Licht: Reto Schubiger; Videodokumentation: Peter A. Egger; Management: Simon Hajós
Hoch von Heidegger komm ich her
Helmut Ploebst, Der Standard, 21. Jänner 2012So richtig los geht es erst Anfang Mai beim diesjährigen Kremser Donaufestival, aber im WUK fand schon jetzt die Vorpremiere statt: Die Wiener Choreografin Saskia Hölbling präsentierte sich im Projektraum des Kulturzentrums als „body in a metal structure“.
Eine Frau in schwarzen Hosen und schwarzem Shirt – Hölbling selbst – platziert sich Kopf nach unten in einem gut vier Meter hohen Gestell aus Metallröhren, wie sie für Baugerüste verwendet werden. Die geplant instabile Konstruktion (von Gudrun Lenk-Wane) besteht aus einer Pyramide innerhalb eines Würfels. Darin bewegt sich die Tänzerin eine Stunde lang, klettert hoch, lässt sich wieder zu Boden, hängt an den Verstrebungen und rüttelt an ihnen. Das Gestell hält das zwar aus, aber vor allem seine äußeren Teile schwanken gefährlich. Der Symbolwert des Ganzen ist beachtlich. Der Philosoph Martin Heidegger war begeistert von der Idee des „Ge-stells“. Für ihn steht es für alles, was „den Menschen herausfordert, das Wirkliche als Geschaffenes zum Vorschein zu bringen“. Der Bezug zu Heidegger ist keine Spekulation. Denn Hölbling hat ihr Stück zusammen mit dem französischen Künstler Laurent Goldring erstellt. Und der ist bekannt als Philosophie-Aficionado.
Daher passt die Metallstruktur im Stück genau zu dem „Gestänge und Geschiebe und Gerüste“, das für Heidegger „zum Technischen gehört“. Aber man muss kein Philosophiestudium absolviert haben, um zu verstehen, was die Tänzerin – übrigens unter Verzicht auf virtuose Tanz-„Techniken“ – in dem Gerüst umtreibt. Hölbling erforscht diese aufrichtige Männerstruktur und fordert sie heraus: belastet, beunruhigt und durchdringt sie. Währenddessen tauscht sie ihre Hosen gegen einen Rock, zieht ein Jackett über ihr Shirt.
Am Ende verharrt sie wieder kopfüber – allerdings bis auf BH und Slip entkleidet. So stellt sie das Gestell auch als Übertreibung jener Stange dar, um die sich Pole-Tänzerinnen winden. Und Pole-Dance ist zur Zeit sehr populär: gerade außerhalb halbseidener Etablissements als Vergnügen für jedefrau. Er gilt als sexy und bewusstseinsfördernd zugleich. Hölbling scheint Lunte gerochen zu haben. Konsequent dekonstruiert sie den Pole und überführt das Ergebnis in das Künstlerische. „body in a metal structure“ soll ab nun Open Air dort aufgeführt werden, wo das Gestell einen Fremdkörper bildet.
Für Hölbling ist diese Arbeit das erste Statement in einer ganzen Reihe künftiger „Squattings“, Besetzungen von öffentlichen Plätzen. Der Anfang ist gemacht – und absolut gelungen.
Senkrecht im stählernen Raum
Oliver Lang, Kronen Zeitung, 29. Juli 2012Im öffentlichen Raum - auf der Albertina-Bastei - ein seltsames Gebilde aus Metallstangen, in dem eine schwarz bekleidete Person kopfüber hängt. Es ist die Choreografin und Performerin Saskia Hölbling, die ihren Abend "body in a metal structure" beim ImPulsTanz-Festival zeigt.
Saskia Hölblings Abend (der gemeinsam mit Laurent Goldring erarbeitet wurde) bringt zwar gefährlich wirkende Klettermomente, jedoch keine zirkushafte Artistik: Es geht nicht um die Show, sondern um das Erobern und Erfahren des Gerüsts. Was sieht man? Saskia Hölbling schlingt und schwingt sich durch das große Metallgerüst, wirkt manchmal reptilienhaft, dann wieder offensiv. In wechselnder Bekleidung wird das Objekt erkundet, manchmal hängt sie kopfüber an den Stangen, dann springt sie, klettert, lässt sich fallen, erreicht den Boden. Immer wieder dazwischen der prüfende Blick auf das Gerüst, ein Kräftemessen, ein Abschätzen des Gegenübers. Und langsam ergibt sich das Rohrgebilde, wird aus einem baustellenhaft wirkenden Objekt zu einer Skulptur, die von Hölbling dekonstruiert wurde. Spannend, was sich zwischen gefährlich schwankenden Einzelteilen und dem festen Innenbau ereignet, wie die Bezwingung dieses meterhohen Objekts gestaltet ist.
Eine DANS.KIAS Produktion.
Koproduziert vom donaufestival, in Kooperation mit dem Werkstätten- und Kulturhaus WUK, mit Unterstützung der
Kulturabteilung der Stadt Wien und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.
Fünf Tänzerinnen in Ganzkörperanzügen aus Lycra verpackt. Mit jeder ihrer körperlichen Gesten entwerfen sie ein für sich stehendes Piktogramm in dem Zeichen, Rollen und Zuordnungen augenblicklich wechseln. Sie experimentieren mit der Verständlichkeit und der Hermetik von Codes und machen in ihren Bewegungen das Verhältnis von Repräsentation und Kommunikation, Habitus und Körpersprache zum Thema.
Mit „pictographic events“ setzt Saskia Hölbling ihre künstlerische Forschung über grafische, organische und akustische Zeichen fort und schafft dabei eine choreografische Arbeit, die sich entgegen der "Globalisierung der Zeichen" für die größtmögliche Vielfalt und Eigenheit von Verstehen ausspricht.
Premiere: 17. + 18. Dezember 2010, Tanzquartier Wien, Halle G, Wien/AT
Dauer: ca. 60 min.
Konzeption, Choreografie: Saskia Hölbling; Musik: Heinz Ditsch; Video: Doron Goldfarb; Licht: Reto Schubiger; Kostüm: Gudrun Lenk-Wane; Tanz, Choreografie: Rotraud Kern, Heide Kinzelhofer, Alexandra Mlineritsch, Moravia Naranjo, Charlotta Ruth Reto Schubiger; Produktion, Management: Simon Hajós
Als die Pictogramme laufen lernten
Bettina Hagen, Falter, 15. Dezember 2010Will man Saskia Hölblings neues Stück „pictographic events“ verstehen, muss man sich kurz die Bedeutung von Piktogrammen in der heutigen, globalisierten Welt vor Augen führen. Jene Zeichen oder Bildsysteme, die – etwa auf Flughäfen – Menschenmassen ohne gemeinsame Sprache oder gemeinsamen kulturellen Hintergrund in dieselbe Richtung dirigieren, sind so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner einer Information oder Handlungsanweisung. Im Gegensatz dazu bezieht nun das Stück seine Spannung daraus, die Zeichen im Sinne ihrer größtmöglichen Deutung zu verwenden.
Hölblings Beschäftigung mit der Familie der Piktogramme hat nichts mit Posen und einer eindimensionalen Umsetzung der Zeichen zu tun. Allerdings führt die Auseinandersetzung mit den Bildsymbolen zu einem ganz eigenen Körperverhalten. Neutralisierende Elemente sind die schwarzen und weißen Ganzkörperanzüge aus Lycra, in die sich ihre fünf Tänzerinnen hüllen.
Während Piktogramme nur auf eine Weise verstanden werden sollen, geht der Tanz über diese erste Bedeutung hinaus. Durch Kontextverschiebungen entstehen überraschende Wendungen, die in diesem Stück auch viel Humor zulassen. Die Tänzerinnen, Gestalten in Schwarz und Weiß und manchmal auch in Rot, nehmen sich alltägliche Gesten her und überprüfen sie auf ihre Ökonomie. Das Bewegungsmaterial ist so unterschiedlich wie bekannt: Da wird gegen die Wand gepinkelt, der Umriss einer Leiche markiert, Aerobic vorgeführt. Doch der Darstellungsmodus wechselt ständig: In Duos und Trios kann tänzerisch, comicartig, aber auch filmisch verfahren werden.
Neben der reduzierten Farbpalette bei den Kostümen orientiert sich auch die Bühnengestaltung an der Ästhetik von Piktogrammen. Räumliche Distanzen und dreidimensionale Gegenstände werden oft nur durch einen Strich angedeutet. Auf dem schwarzen Tanzboden definieren zwei weiße Balken die Raumtiefe. Für die Musik von Heinz Ditsch und die Videos von Doron Goldfarb gilt, dass sie in ihrem Genre auch so etwas wie eine piktografische Sprache entwickeln. Saskia Hölbling zählt mit ihrer Compagnie DANS.KIAS zu den fixen Größen der heimischen Szene.
Computersprache im Tanz
Silvia Kargl, Kurier, 19. Dezember 2010Drehten sich Hölblings letzte Arbeiten vor allem um weibliche Körper, so beschäftigen sie nun grafische, universell verwendete Zeichen und Symbole. Wie Pixel erscheinen fünf in weiße, schwarze und rote Ganzkörpertrikots mit Masken gehüllte Tänzerinnen. Verändert scheint nicht nur die choreografische Form, sondern auch Inhalte und der Umgang mit Zeit.
Zelebrierte Hölbling zuletzt Langsamkeit, so setzt sie nun auf eine rasche Szenenfolge mit vielen, oft stereotypen Wiederholungen. Immer wieder erstarren die Performerinnen nach schnellen Schritten in Posen, Skulpturen und Bewegungen aus zeitgenössischem Tanz sowie Ballett. Themen wie Missverständnisse in der Kommunikation, Machtspiele, Klischees von Frauen- und Männerrollen werden angerissen, jedoch nicht weiter geführt und mit immer wieder neuen Ideen übermalt.
Auf zur Anarchie der Zeichen
Verena Franke, Wiener Zeitung, 21. Dezember 2010Saskia Hölbling hinterfragt in "pictographic events" die Wirkungskraft von Piktogrammen, die den heutigen Alltag bestimmen. Dafür steckt die heimische Choreografin fünf Tänzerinnen ihres Ensembles in Ganzkörperanzüge. Von Kopf bis zu den Zehenspitzen, eben Piktogrammen gleich.
Diesmal steht bei Hölbling weniger der Körper an sich im Mittelpunkt des philosophischen Konzepts als die Auseinandersetzung und vor allem auch die Sensibilisierung in Hinblick auf die omnipräsente globale Zeichensprache. Hölbling versucht, der einfachen, linearen Symbolik eine komplexe Ebene hinzuzufügen. Die Choreografin zeigt abstrakt die Konsequenzen des piktografischen Eigenlebens, wenn sie etwa mit Frauengeschrei einen Autounfall und seine Folgen andeutet.
Eine DANS.KIAS Produktion.
Koproduziert vom Tanzquartier Wien, mit Unterstützung der
Kulturabteilung der Stadt Wien und des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.
Nach der erfolgreichen Inszenierung von A-ronne (2002) setzt die österreichische Choreografin Saskia Hölbling erneut in Zusammenarbeit mit der Wiener Taschenoper Naturale, Visage und Sequenza V von Luciano Berio konzertant in Szene: mit einem virtuosen Tanzsolo, einer Videoinstallation ereignisreicher Gesichtstänze und einer unkonventionellen Performance eines Musikers mit seinem Instrument.
Luciano Berio: Wanderer zwischen Tradition und Avantgarde
In seinen Werken mischen sich Musik, Texte und Handlung zu einem labyrinthischen Gewirr. Wo aber manche Mitstreiter
seiner Generation jede Berührung mit musikalisch Bekanntem meiden, gibt es für ihn keinen historischen Nullpunkt. Im
Gegenteil, Berio bezieht bewusst das aus der Geschichte Bekannte – Musik und Literatur, ja sogar volksmusikalische
Traditionen – mit ein: in seine elektronische ebenso wie in seine instrumentale und vokale Musik. Es gilt, dieses
bereits Bekannte wieder- und wiederzulesen, es auf seine expressiven Möglichkeiten hin zu untersuchen, es zu
transformieren und einfließen zu lassen in den kompositorischen Prozess, in dem sich alles Geschichtliche neu
ausprägt
als Gegenwärtigkeit in der Musik.
Naturale: ein virtuoses Tanzsolo
Berio komponierte Naturale für Viola, Schlagzeug und Zuspielband. Wie eine vierte Stimme fügt sich das Tanzsolo dem Ganzen hinzu, das das sizilianisch-folkloristische Thema von Naturale aufgreift und virtuos in einen zeitgenössischen Kontext übersetzt.
Viola: Petra Ackermann; Schlagzeug: Wolfgang Reisinger; Choreografie: Saskia Hölbling, Moravia Naranjo, Stephen Thompson; Assistenz: Stephen Thompson; Tanz: Moravia Naranjo
Visage: ereignisreicher Gesichtertanz
Aus fünf verschiedenen Abläufen verschiedenster Gesten und Wendungen im Gesicht fünf verschiedener Personen, die porträthaft zur Tonspur Berios abgefilmt wurden, werden während der Performance maximal drei Bilder gleichzeitig auf drei Leinwänden live zugespielt.
Video: Doron Goldfarb, Saskia Hölbling; Visages: Heide Kinzelhofer, Moravia Naranjo, Fabrice Ramalingom, Virginie Roy-Nigl, Stephen Thompson
Sequenza V: für Posaune Solo
Sequenza V entstand 1965 für den Posaunisten Stuart Dempster. In Sequenza V geht es nicht nur um den emotionalen Gehalt der Musik, die der Posaunist auf seinem Instrument spielt, es geht auch um die Emotionen des Posaunisten selbst: seine eigene körperliche Präsenz, die in gewisser Weise ein unkonventionelles Verhalten verlangt.
Posaune: Johannes Ettlinger
Premiere: 12. Februar 2009, Konzerthaus Wien, Neuer Saal, Wien/AT
Dauer: ca. 60 min.
Regie, Inszenierung: Saskia Hölbling; Klangregie: Wolfgang Musil; (Musik) Dramaturgie: Ferdinando Muffi; Licht: Reto Schubiger; Maske: Wiltrud Derschmidt
Saskia Hölbling choreografiert einen Abend zu Werken von Luciano Berio
Ditta Rudle, tanz.at, 16. Februar 2009Ein Abend, der so einmalig wie unterhaltsam ist!
Moravia Naranjo zeigt in „Naturale“, um wie viel einprägsamer, bewegender die Musik wird, wenn eine Tänzerin sie in Bewegung umsetzt. Der Körper wird zum Instrument, das die Noten gleichberechtigt neben der Solobratsche interpretiert.
Die bewegten Gesichter in „Visage“ von Heide Kinzelhofer, Moravia Naranjo, Fabrice Ramalingom, Virginie Roy-Nigl und Stephen Thompson erzählen Tragödien und Komödien, die sich das Publikum selbst zusammenreimen kann, so es sich nicht einfach dem abstrakten Genuss der tanzenden Visagen und der scheinbar emotionsgeladenen „Stimme“ hingeben will.
Eine sehr feine Arbeit!
Konzerthaus „Berio in Bewegung“, Hölbling
Florian Krenstetter, Kronenzeitung, 14. Februar 2009Sehr ansprechend, ästhetisch, gekonnt gemacht! So wirkt das Tanzsolo, mit dem Moravia Naranjo sich Berios Musik in der Bewegungsstudie Saskia Hölblings annähert. Der Gegensatz zwischen formal streng choreografierter Szene und intimen, selbstvergessenen Momenten wird kunstvoll aufgehoben.
Petra Ackermann (Viola) und Starperkussionist Wolfgang Reisinger demonstrierten fabelhafte Klangleichtigkeit, wunderbare Klangmischungen und eine ausgewogene Balance der Stimmlinien.
Mit Johannes Ettlinger hätte man kaum einen besseren Instrumentalisten für die höchst unkonventionelle Performance der „Sequenza V“ von Berio gewinnen können. Ein Fünf-Minuten-Bravourstück. Besser kann man dieses knappe, konzise, ungemein klarlinige Stück kaum charakterisieren. Begeisterung im Publikum!
Im visualisierten Labyrinth
Daniel Wagner, Wiener Zeitung, 14. Februar 2009Das erdverbundene Element Berios in „Naturale“ wurde durch den Tanz der Urrhythmen verdeutlicht.
Authentisch (virtuos angestrengt) agierte Johannes Ettlinger in „Sequenza V“ für Posaune Solo.
Ein Abend, der durchwegs lohnt!
Eine Produktion von DANS.KIAS und der Wiener Taschenoper.
Mit Unterstützung der Stadt Wien und des Centre Chorégraphique National de Franche-Comté à Belfort im Rahmen einer
Residenz.
DANS.KIAS wird subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien.
In ihrer Inszenierung der Hamletmaschine von Heiner Müller übersetzt Hölbling den Text Müllers in Körper und bringt
diesen in Bewegung. Wobei der Text selbst unangetastet bleibt; er spricht für sich selbst.
Hölblings Hamletmaschine ist ein inszeniertes Hörspiel, eine textliche Installation mehr oder weniger bewegter Körper.
Eine Inszenierung der Hirnströme und Hirnnerven mit der Erzählstruktur von Träumen, bei der konkrete Zusammenhänge außer
Kraft gesetzt werden, ohne Übergänge – unabhängig von linearen Interpretationen.
Es geht darum, die eigene Bildmaschine in Gang zu setzen – ein Theater im Kopf.
Ein Drama ohne Charaktere und Handlung. Ein Drama, das nicht mehr stattfindet, vielmehr zu fünf Prosaskizzen
(-fragmenten) geschrumpft ist, von zweihundert Seiten auf neun. Quasi ein Schrumpfkopf, wobei der Hamletstoff
collagenhaft mit Zeitgeschichtlichem und Eigenerlebten verwächst oder assoziativ aufsplittert. Geistreich, subversiv,
mit einer großen Portion Zynismus und Witz, desperat vital, hoffnungsvoll absurd. Ein Textgewebe ungeheurer
Aufgeladenheit und von brennender Aktualität.
"Wer glaubt noch an den Coca Cola Status-quo as formula of universal happiness?
Oder an terrorism as last position of humanism?"
"Betrachtung aus der Position des Maulwurfs."
Der Text kann in Ruhe gelassen werden. Er ist komplex genug. Er spricht für sich, er braucht keine Interpretation. Er
ist Material wie Licht oder Ton, Raum oder Körper, Element und Baustein.
"Was man denken kann, braucht man nicht zu tun.
Was man denken kann, kann man auch tun."
Eine Inszenierung der Hirnströme und Hirnnerven mit der Erzählstruktur von Träumen, übergangslos, jenseits linearer
Interpretationen. Es geht darum die eigene Bildmaschine in Gang zu setzen, das Theater im Kopf.
Das Stück ist eine ungeheuer komplexe organische Struktur, keine Montage, ein Körper. Die Bewegung des Körpers ist das
Stück, eine animalische Bewegung, eine sinnliche Erfahrung.
"Der Aufstand beginnt als Spaziergang.
Gegen die Verkehrsordnung während der Arbeitszeit"
Premiere: 09. Oktober 2009, Neue Studiobühne des Max Reinhardt Seminars, Wien/AT
Dauer: ca. 50 min.
Regie: Saskia Hölbling; Kostüm, Bühnenbild: Saskia Hölbling; Musik: Heinz Ditsch; Licht: Gerhard Fischer; Trainingsleitung, Assistenz: Moravia Naranjo; Technische Beratung: Krisha; Regieassistenz: Jens Bluhm; Besetzung: Karoline Baer, Henriette Blumenau, Ullrich-Friedrich Brandhoff, Emanuel Fellmer, Robert Finster, Laura Louisa Garde, Swintha Gersthofer, Laura Mitzkus, Joseph Reichelt, Stefanie Reinsperger, Ulrike Sophie Rindermann, Patrick Seletzky
Eine Gastregieproduktion des Max Reinhardt Seminars
DANS.KIAS wird unterstützt von der Kulturabteilung der Stadt Wien.
In „fiction in between“ tauchen Saskia Hölbling und Fabrice Ramalingom in Zwischenwelten, werden zu Schattenträgern, zu Phantomen, öffnen Raum für Sinnestäuschung und Phantasmen. Sie irritieren, werden zum Spiegel von Ängsten und Lust. Der Ort des Geschehens schreibt sich wie eine Furche in den Raum, faltet sich im Laufe des Stückes. Die dunklen Seiten werden beleuchtet. „fiction in between“ ist ein Universum nach anderen Gesetzen, wo Abbildungen und erdachte Möglichkeiten eine andere Wirklichkeit erzeugen.
Ein Ort im Raum.
Der Ort Zwischen.
Eine Furche, ein Abstand, ein Spalt, ein Loch, eine Öffnung.
Der Ort der Abbildungen und der erdachten Möglichkeiten.
(An diesem Ort) keine Personen, keine Eigenschaften.
Figuren, Silhouetten höchstens.
Zwei Schattenträger.
Die dunkle Seite, das Tier in dir.
Spiegel der Ängste und der Lust.
Jedenfalls irritierend.
Und immer unvollständig.
Keine Gesamtheit ohne Unvollkommenheit.
Aber nichts desto trotz eine Idee der Wirklichkeit.
An diesem Ort der Sinnestäuschung , der Phantasmen, der Phantome, der Schatten.
Ort für etwas niedrigeres, primitives, unangepasstes.
Ein Universum nach anderen Gesetzen.
Denn wenn die Möglichkeiten zu den Betrachtungsweisen gehören,
verursachen zahlreiche Bewußtseinsbildungen eine Reihe von Wirkungen.
Premiere: 30. Mai 2008, im Rahmen von Chassé-croisé danse im Théâtre de Mireval, Scène Nationale de Sète et du bassin de Thau/F, Sete/F
Dauer: ca. 45 min.
Konzeption, Choreografie, Tanz: Saskia Hölbling, Fabrice Ramalingom; Musik: Heinz Ditsch; Lichtdesign: Maryse Gautier; Lichtregie: Bruno Marsol; Künstlerische Beratung: Maxime Fleuriot
TITEL
Gérard Mayen, Danser, DATUMManchmal bestimmt die Kleidung den Tänzer. Etwa das knallenge schwarze Futteral, das Fabrice Ramalingom und Saskia Hölbling in fiction in between tragen. Diese Hülle verwandelt ihren Träger in eine Science-Fiction-Requisite. Und in der weiten und tiefen Dunkelheit braucht man lange, bis man menschliche Züge erkennt. Die Handlung spitzt sich zu, sobald diese beiden rätselhaften Silhouetten sich aus ihrem Kostüm schälen und in die Haut des anderen schlüpfen. Ihre Konturenlosigkeit radikalisieren, indem sie das Weibliche und das Männliche zu bloßen Accessoires – Mütze, Perücke – reduzieren, die um die Wette vertauscht werden. Durch die verhaltene Distanz der Körper wirkt dieses Stück wattiert, in einen Traum gehüllt, der Fantasmen erzeugt. Es spielt mit der Selbstspiegelung der Themen zweite Haut und Verkörperung sozialer Codes und nimmt damit das Risiko auf sich, in Verwirrung zu stürzen.
Eine DANS.KIAS / R.A.M.a. Produktion.
Koproduziert vom Centre Chorégraphique National de Rillieux-la-Pape à Lyon - Cie. Maguy Marin im Rahmen einer Residence.
DANS.KIAS wird subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien.
"secret sight" katapultiert uns mitten in ein Dispositiv paradoxer Sichtweisen, wo physische Details und abstrakte
Landschaften gleichermaßen begriffen werden wollen, wo der Konflikt des Organischen und des grafischen Zeichens
aufeinanderprallen, sich Geschlecht und Raum als gleichermaßen flüchtig erweisen.
Dieses Stück verweist auf die Materialität des Körpers, seine transformierbare Topografie und letztlich die
Unmöglichkeit seiner Lokalisierung.
„f on a pale ground“, das vorherige Stück von Saskia Hölbling, zeigte in Ritualen verhaftete Körper, die imaginäre
Parcours, Bahnen des Verlangens und der Abstoßung erfanden. Mit „secret sight“ kehrt die Künstlerin zu einer intimeren
Materialität der Körper zurück, die nun eine abstrakte Landschaft, eine Komposition aus Bewegungen, Tönen, Stimmen und
Licht erforschen. Wie ausgeschnitten aus der weißen Bühne, treten Körper aus der Fläche hervor, grenzen sich ab und
begegnen sich – zu zweit, zu dritt. Aus diesen Begegnungen entstehen Zustände – Ungewissheit, Abgrenzung, Verdichtung,
Beschleunigung – Zeichen gleich, die die leere Seite füllen, sich in eine unaufhörliche Bewegung des Kommens und Gehens,
von Spannung und Entspannung einschreiben und auslöschen.
Ein Körper erscheint, ein Körper verschwindet, zieht sich in sich selbst zurück, durchquert eine Schockzone. Ein Körper
vergisst seine Grenzen, derangiert, deformiert einen anderen Körper. Selbst im Ruhezustand sind die Körper von Linien
durchzogen – Verbindungslinien, Bruchlinien, unterbrochenen, abgesetzten Linien, die anderen Dynamiken folgend wieder
aufgenommen werden. Aus einer Begegnung kann eine Situation werden, ein Moment, der keinem der Körper gehört, aber den
Raum verdichtet: eine Situation, die sich verwandelt, sich auf andere Ereignisse einstimmt. Eine Situation, die sich im
Raum verlagert, den Zeitbegriff erweitert; die zur Grenze einer anderen Situation, eines anderen Ereignisses werden oder
sich auflösen, sich in der Landschaft verlieren kann. Rund um diese verschlungenen Körper schwirren Stimmfragmente –
Gesang, Schreie, Flüstern. Unterschiedliche Kompositionsebenen werden nach und nach freigelegt, die sich kreuzen, ohne
einander zu interpretieren, sich berühren, ohne die Geschichte ihrer Begegnung zu erzählen.
Eine Geste entfaltet die nächste, hebt sich auf, unterstützt eine andere Entwicklung. Zwei voneinander getrennte Körper
antworten einander quer durch den Raum. Eine Linie hält inne, eine Linie setzt sich fort. Stille. Eine Stimme flüstert,
eine Stimme erhebt sich, unterbricht sich. Dunkel.
„secret sight“ kann als Partitur gelesen werden, als Fuge, deren Themen ohne Unterlass neu aufgegriffen werden. Durch
ein Verweben dieser Fluchtlinien, das ihre lineare oder narrative Entwicklung verhindert, versucht Saskia Hölbling aus
der Begegnung eine Dimension auftauchen zu lassen, die dem jeweiligen Körper nicht vorausgeht, die nichts anderes –
nichts darüber hinaus – besagt. Rund um die Körper und Stimmen berühren sich Leerräume – ermöglichen eine Annäherung an
jene verborgene Sichtweise, wo Betrachtung Gehör findet.
Premiere: 10. April 2008, Tanzquartier Wien, Halle G
Dauer: ca. 50 min.
Konzeption, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Saskia Hölbling, Moravia Naranjo, Stephen Thompson; Musik: Heinz Ditsch; Licht, technische Leitung: Reto Schubiger; Künstlerische Beratung: Gilles Amalvi
Die Grafik des Körpermaterials
Ditta Rudle, tanz.at, 14. April 2008Zwei nackte Frauenkörper liegen regungslos auf der weißen Bühne. Aus der Perspektive der Tribünensitze sehen sie seltsam verzerrt aus, verlieren Individualität, Geschlecht und Menschlichkeit, werden zu Zeichen auf dem Boden. Die beiden Körper erheben sich, treten an den Rand; als selbstvergessen Marionetten kleiden sich die beiden Frauen ganz in Schwarz. Der männliche Körper, ebenfalls in Schwarz gehüllt, tritt hinzu: Saskia Hölblings neue Choreografie „secret sight“ erwacht zum Leben.
In Solos, Trios und Duos bewegen sich die Körper zum Geräuschteppich von Heinz Ditsch in genau ausgeklügelter Geometrie, Schwarz auf dem weißen Untergrund. Einprägsame Farbeffekte entstehen im wechselnden Licht, wenn Stephen Thompson das Oberteil und Moravia Naranjo die lange schwarzen Hose ablegt. Im innigen Duett wird für einen Moment das Zeichenhafte der Körper durch menschliche Individualität ersetzt. Eine Augenblicksbeziehung entsteht auf der Bühne, eine Kurzgeschichte im Kopf der Zuschauer. Währenddessen setzt die dritte Performerin, Choreografin Saskia Hölbling neue Akzente, die schwarzen Shirts im weißen Geviert. Raum, Bewegung, Geräusch, Licht, Farben bilden ein Spannungsfeld, dem sich die Betrachter nicht entziehen können.
Zu sehen ist eine spannende, bewegte Darstellung dreier Körper, die sich in scheinbarer Logik mathematischer Formeln auf einander zu, voneinander weg und in sich selbst bewegen. Es tanzen Saskia Hölbling, Moravia Naranjo und Stephen Thompson.
Tanz wie eine Partitur zu lesen
Brigitte Suchan, Wiener Zeitung, 12. April 2008Unter der Prämisse, Tanz als eine Form des Denkens aufzufassen, erforscht die bekannte Wiener Choreografin Saskia Hölbling in ihrem neuesten Projekt „secret sight“ die Ausdrucksmöglichkeiten des menschlichen Körpers.
Hölbling geht es nicht darum, Gefühle oder Inhalte zu transportieren, sondern die Tänzer in ein Verhältnis zum Raum und zur Musik (Heinz Ditsch) zu bringen. Abstrakt und körperlich zugleich komponiert sie Bewegungen, die nichts Spontanes und nichts Emotionales haben. Saskia Hölbling, Moravia Naranjo und Stephen Thompson agieren mit äußerster Konzentration, die sich im Laufe der knappen Stunde, die „secret sight“ dauert, auch auf das Publikum überträgt.
Zeigen, was geheim bleibt
Isabella Wallnöfer, Die Presse, 12. April 2008In ihrem neuen Stück „secret sight“ schreiben sich drei Körper wie Zeichen in die weiße Bühnenfläche, „ beschreiben die leere Seite “. Mit Bewegungen, die nur ein Werden zum Ziel haben und nichts darüber hinaus bedeuten oder erzählen wollen.
Die Tänzer falten ihre Kleidung in einem strengen Zeremoniell zusammen, später wieder auseinander, ziehen sich an, um dieser fremden Haut gleich wieder zu entsteigen.
Eine DANS.KIAS Produktion.
Koproduziert vom Tanzquartier Wien und unterstützt vom Choreographic Center Linz im Rahmen einer Residenz.
DANS.KIAS wird subventionniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien.
In ihrer Live-Performance „cat in a deep freeze“ bricht Saskia Hölbling (Tanz) gemeinsam mit Heinz Ditsch (Musik), Doron Goldfarb (Video) und Krisha (Licht) zu einer Expedition in Zwischenbereiche auf. Es ist ein Aufbruch in die Kälte, in virtuelle Landschaften, in denen sich der Körper ebenso auflöst, wie zum Ereignis wird, wo Dauer und Flüchtigkeit gleichermaßen vorwärts treiben.
Man muss nicht zu den Polkappen aufbrechen, um sich weit weg von der lähmenden Wärme auf ein Bett aus Eis zu legen. In
der Kälte endlich wird der Kopf klar. Endlich Ruhe. Der Körper kontrahiert auf das Notwendigste. Das Herz schlägt
spürbar. Die Atmung ist kurz und flach. Etwas setzt sich in Bewegung und lässt den Körper in seiner angenehmen Lähmung
zurück.
Aufbruch in Zwischenbereiche, die jeder Topographie entbehren, in eine währende Flüchtigkeit, ein Vorwärts in alle
Richtungen, immer weiter weg vom Ausgangspunkt. Stetiges Bauen in die weiße Leere. Eine Expedition in die süße Utopie
des währenden Vergessens.
Mit der Entfernung zum Ausgangspunkt wächst die Geschwindigkeit. Die Eskalation wird vorausgesetzt - als hätte die Welt
aufgehört, sich zu drehen.
Premiere: 29. Juli 2007, im Rahmen des ImPulsTanz Festivals, Schauspielhaus, Wien/AT
Dauer: ca. 50 min.
Konzept, Choreografie, Tanz: Saskia Hölbling; Musik: Heinz Ditsch; Licht: Krisha; Video: Doron Goldfarb; Künstlerische Beratung: Peter Kollreider
Eine DANS.KIAS Produktion.
DANS.KIAS wird subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien.
Nach „Jours Blancs“ – einem Solo in dem der weibliche Körper isoliert im Real eines glatten Raums sich selbst ausgesetzt war, und jeder Gegenstand Auslöser und Kristallisationsfläche für repetitive Obsessionen darstellte, setzt Saskia Hölbling diesmal einen anderen Blick auf ihre Anatomie der Lust – absurder, leichter.
Drei Frauen, drei Räume in Erwartung: ein ränkevolles Triptychon, in dem sich die perspektivischen Linien auflösen. Der
Fluchtpunkt bewegt sich zwischen den Körpern und den Gegenständen und erlaubt die Entstehung neuer Handlungsabläufe und
neuer Bilder – surrealistisch, amüsant oder beunruhigend. Als hätte sich der Maler von seinem Bild absentiert und ließe
nur Indizien zurück, um dieser mysteriösen Zeremonie folgen zu können. Als wären diese Frauen alleine Erzeuger ihrer
Bilder und zu Projektionen ihrer eigenen Lust geworden, von Metamorphose zu Metamorphose.
Nach und nach durchdringt das Erdachte die Wirklichkeit, die Parcours jeder Tänzerin greifen ineinander, kontaminieren
sich. Ein Ritual erfindet sich – alleine, zu zweit, zu dritt – und transformiert die seelenlosen Gegenstände, montiert
sie am Körper, am Ermessen des eigenen Phantasmas. Bilder der Lust – auf der Haut, im Fleisch – Bilder die Illusion
erahnen lassen die ihr zu Grunde liegen. In diesem Stück verweist Saskia Hölbling auf die Polemik zwischen Automation
und dem Chaos des Fleisches, Organizität und Künstlichkeit und hinterfragt in welcher Weise der weibliche Körper
versucht sich in diesem Verlust der Konturen neu zu erfinden.
Premiere: 25. Jänner 2007, Tanzquartier Wien, Halle G, Wien/AT
Dauer: ca. 60 min.
Konzeption, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Heide Kinzelhofer, Moravia Naranjo, Virginie Roy-Nigl; Musik: Heinz Ditsch; Licht, technische Leitung: Reto Schubiger; Video: Doron Goldfarb; Künstlerische Beratung: Gilles Amalvi
Politik des Verzichtens
Helmut Poebst, De Standard, 27./28. Jänner 2007
Nacktheit ist nur ein marginales Element in Saskia Hölblings „f on a pale ground“.Drei ausgezeichnete Tänzerinnen tun
scheinbar sinnlose Dinge auf einem sehr bleichen Boden. Gemeinsam mit ihrer Choreografin nehmen sie ein Spiel mit
scheinbar Überflüssigem diszipliniert unernst. Überaus kontrolliert und detailreich operieren sie mit einem der
wichtigsten Instrumentarien der Choreografie. Und das sind Handlungen, die aus den Rahmen der gesellschaftlichen Norm
fallen.
Damit ist auch dieses Werk ausgesprochen politisch – als Geste der Opposition gegenüber den sich wieder straffenden
Verhaltenskorsetten in unserer Effizienzgesellschaft. Die drei Tänzerinnen entwickeln Situationen, die sich wie
kommunizierende Gefäße verbinden und riskieren dabei auch gewisse Entropien.
Demontage der Realität
Verena Franke, Wiener Zeitung, 27. Jänner 2007
„f on a pale ground“ , eine Demontage der Wirklichkeit, der Realität, die fließend die Grenzen in eine fiktionale Welt
überschreitet.
Die Performance hinterlässt im Zuschauer eine emotionale Unruhe, die das soeben Erlebte zu ordnen versucht, doch das
gelingt nicht.
Eine DANS.KIAS Produktion.
Koproduziert vom Tanzquartier Wien, den Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis und dem Centre
Chorégraphique National de Franche-Comté à Belfort.
DANS.KIAS wird subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien.
Nach „exposition-corps“, „superposition-corps“ und „your body is the shoreline“, drei Stücken, die den Körper in seinem
Rohzustand darstellen, das Wesen des Körperlichen thematisierten, sucht Saskia Hölbling nun, ihren Körper in einen
Kontext einzuschreiben. Dieser könnte ein Land sein – Österreich, er könnte eine Stadt oder auch eine Wohnung sein. Es
könnte irgendwo sein – der Druck dieser Umgebung jedenfalls wird als Unterdrückung des Körpers, des Geschlechts, der
Gefühle spürbar.
In „Jours Blancs“ ist der glatte Raum eine Falle, in dem Wohlbefinden Abscheu kaschiert und alltägliche Gesten von
Verlangen, Angst und Frustration ausgehöhlt sind. Der weibliche Körper existiert weder als Person, noch als Bild, er
verkörpert nichts – als eine Frage: ist Fragezeichen und Verbindungslinie zwischen Lust, Schmerz, Wut.
Sie bewegt sich in einer alltäglichen Umgebung, die ihr immer fremder wird. Ist das ihre Wohnung oder die eines anderen,
ihr Körper oder der eines anderen? Es ist ein Ort ohne Gedächtnis, ohne Eigenart, an dem man sich selbst im Wege steht,
in dem sich aus jedem Gegenstand eine Angst, eine Obsession kristallisieren kann.Der Blick des Betrachters, der in
diesen Raum einzudringen versucht, prallt an ihrem blinden, undurchdringbaren Körper ab. Es kreuzen sich Bahnen, prallen
Stile aufeinander, die Angst, Lachen, Gewalt und Zärtlichkeit auslösen können.
Woher das Unbehagen kommt, lässt sich nicht sagen: Der Zuseher wird mit einer Reihe von Wirkungen und Verkettungen
konfrontiert – einer Wiederholung, die eskaliert, einem Virus, der vom Raum auf die Gegenstände und von den Gegenständen
auf den Körper übergreift. In der Figur dieser Frau, die sich einen Schutzraum schaffen will, thematisiert Saskia
Hölbling einen Prozess, der den Körper nur noch als sich fremde Hülle übrig lässt und gibt damit Einblick wie unsere
Beziehung zur Lust, zum Schmerz, zum Verlangen verstanden werden kann.
Premiere: 19. Mai 2006, im Rahmen von Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis,
Centre Dramatique National / Montreuil (Salle Maria Casarès)/FR
Dauer: ca. 50 min.
Konzept, Choreografie, Tanz: Saskia Hölbling; Musik: Heinz Ditsch; Licht, technische Leitung: Krisha; Video: Doron Goldfarb; Künstlerische Beratung: Gilles Amalvi
Rot-weiße Tage
Thomas Hahn, ballet-tanz, Juli 2006Im intensiven Ringen zwischen Scham und Intimität entwickelt die Österreicherin simple, symbolische und konkrete Bilder von frappierender Tiefe. Die Stimmungen spannt Hölbling bis zum Zerreißen. „Jours Blancs“ gehört zu den wenigen Performances, die wahrlich Gänsehaut entstehen lassen. Werner Schwab hat posthum eine kongeniale Tanzpartnerin gefunden.
Aydin Teker trotzt den Gesetzen der choreogarfischen Schwerkraft
Marie-Christine Vernay, Liberation, 23. Mai 2006Saskia Hölbling setzt ihre Forschungen zum Thema Weiblichkeit fort. In "jours Blancs", einem kompromisslosen Stück von äußerster Subtilität, situiert sich die Künstlerin im Kontext ihres Landes.
TITEL
Maxime Fleuriot, Danser, DATUM„jours blancs“ von Saskia Hölbling. Die Kraft dieses Solos beruht zunächst auf der unglaublichen Präsenz der Interpretin, die die Bühne eine gute Stunde lang beherrscht, ohne dass die Spannung je nachlässt. Die Choreografie beeindruckt durch ihre Stringenz und wird durch eine intelligente Szenografie und Tonspur optimal ergänzt. Saskia Hölbling zeigt uns die repetitiven Automatismen des Alltags einer Frau, der allmählich aus den Fugen gerät. „jours blancs“ ist ein sehr schönes Stück über die Einsamkeit und Abkapselung des Einzelnen in der zeitgenössischen Gesellschaft.
Von innen nach außen gestülpt
Helene Kurz, Wiener Zeitung, 25. Juli 2006
Schmerz und Verlangen, Angst und Frustration wechseln einander ab. Einfache Tätigkeiten werden so lange wiederholt, bis
der eigene Körper nur noch eine fremde Membran ist.
Die Choreographie glänzt durch präzise ausgeführte und durchdachte Abläufe, die schockieren und faszinieren zugleich.
Saskia Hölblings Präsenz und Ästhetik verleiht der Performance eine ausdrucksstarke Schwingung, der man sich nicht
entziehen kann.
Als ich mir einen lesbischen Blick aneignete
Gérard Mayen, Mouvement, 17. April 2006
In „jours blancs“ erweitert die österreichische Performance-Künstlerin Saskia Hölbling den geteilten Blick auf das
Intime. In „Jours Blancs“, ihrem neuen Stück, sondiert Saskia Hölbling eine Rauminstallation. Es wäre wünschenswert,
dass weitere choreografische Arbeiten diesen Versuch mit derselben Intensität fortsetzen, um alle seine Aspekte
auszuloten.
Der Boden : Chanel-Grau. Der Rest : sehr weiß, sehr Badezimmer, unterbrochen vom Blutrot einiger weniger Accessoires.
Durch den ganzen Raum ziehen sich schräg gespannt rote Fäden. Verfolgbar. Diese Fäden unterteilen den Raum, projizieren
imaginäre Ebenen, die die Tänzerin durchmessen wird. Die wichtigsten Requisiten: eine alte Badewanne aus Metall im
Zentrum und Vordergrund der Bühne. Des Weiteren zwei Metallplatten, Spiegeln gleich, die nicht mehr imstande sind, ein
Bild zurückzuwerfen. Blinde Spiegel. Schließlich ein zweckentfremdetes Fernsehgerät, dem Rauschen seiner Leere
überlassen, aus der bisweilen flüchtige Bildfolgen für Sekundenbruchteile hervorbrechen – mit aller Macht der Bildwelt
(Vogelflüge, Rauchwolken aus Fabriksschloten, vom Wind gepeitschte Blumenfelder etc.).
Und wir – gefangen in diesem Raum, isoliert von der Außenwelt. Saskia zieht sich aus, gleitet in die Badewanne, von der
nur der Boden mit Wasser bedeckt ist. Der schräge Blick von den Sitzrängen. Der zergliederte Körper. Arme und Beine, die
über den Rand baumeln. Brüste, die sich in Szene setzen: ein Venushügel ebenso dunkel beeindruckend. Das Verlassen der
Badewanne. Das Abtrocknen. Die Fortsetzung des Parcours. Der im Zentrum des Intimen stattfindet, jedoch distanziert,
vorsichtig forschend. Entfernte Distanzen, Stützen, die keinen Halt versprechen, betonte Knie, versunkene Blicke. Ein
Körper breitet sich in einem Raum aus. Er ist an der Peripherie. Methodisch am Nichts. Absichtslos, unspektakulär.
Das ist eine Frau, die sich an den Ausläufern ihres körperbetonten Morgens rekonfiguriert. Darauf könnte man sich
einigen, um ihre Schönheit hervorzuheben, doch wer weiß. Um ihre Ganzheit wieder herzustellen, geduldig, stark ergriffen
von der Verweigerung jeder Evidenz.
Diese Antithese zur Barbiepuppe fordert eine Neuerfindung des Blicks. Erscheint sie nicht selbst erstaunt zu sein über
die Fremdheit der Form, die sie dem Fleisch ihres Unterleibs aufzwingt, indem sie dort den Umriss eines Dreiecks mit
Klemmen absteckt, die ihre Haut durchbohren? Körper einer Einschreibung.
„jours blancs“ ist nicht ohne erotische Projektionen nachzuvollziehen. Allerdings solcher, die erst zu erfinden sind zu
diesem Bild, das alle erwartbaren Konventionen der symbolischen Konstruktion von Körpern ablöst und verschiebt. Dies ist
die einzige Möglichkeit, um außerhalb des normierten heterosexuellen Rahmens – der in diesem Fall ungeeignet ist – eine
einsame weibliche Intimität zu erfassen, die dem öffentlichen Blick unerhörte Unmöglichkeiten andeutet. Eine maskuline
Kritik, die abwechselnd alle Blickwinkel erprobt, die sich ihr aufdrängten, kommt zu dem Schluss, dass sie letzten Endes
an diesem Abend so frei war, sich eine lesbische Perspektive (einen Blick als Imaginationsmaschine) zu eröffnen – und es
auch falsch gewesen wäre, darauf zu verzichten.
„jours blancs“ durchbricht die Ordnung der Dinge durch eine schöne und kalte Kraft, die von einer in sich gekehrten
Intelligenz und einem herausgeforderten Körper zeugt.
Eine DANS.KIAS Produktion.
Koproduziert von den Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis und unterstützt vom Centre
Chorégraphique National de Franche-Comté à Belfort im Rahmen einer Residenz.
DANS.KIAS wird subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien
Es ging weniger darum, dass zwei Personen aufeinandertreffen,
sondern dass zwei Körper aufeinander treffen.
Zwei Körper mit allen ihren Sensationen,
mit allen ihren Verrücktheiten.
Welche Intuition setzt die Impulse für Handlung und Äußerung, wenn wir auf den anderen, das andere treffen, dem anderen
begegnen: den anderen physisch verstehen und denken suchen, den anderen Körper kennen lernen, erforschen, in das
Universum dieses anderen eintauchen, ihn entdecken, sich von diesem anderen absorbieren lassen, sich diesen anderen
Körper aneignen, das Eigene im anderen finden.
Ausgelöst durch das physische Miteinander, entstehen Zustände, die nicht mehr unterscheiden zwischen dem einen und dem
anderen, die das Zwischeneinander verschmelzen lassen. Diese Gemeinsamkeit in der wir nicht wissen in welche Richtung und wohin sie uns trägt, formt eine Nähe ohne Rückzug und
ohne Verteidigung. Das Entdecken einer anderen Intimität. Auch einer Intimität des „für-sich-seins“, die nichts beschäftigt und die nicht beschäftigt wird, die sich selbst trägt.
Um in einer Unmittelbarkeit und direkt aus dem „für-sich sein“ auf den anderen zuzugehen, ohne Erwartungen, direkt in
die Begegnung. Und um sich ebenso unmittelbar und direkt wieder aus dem „mit-einander“ zurückzunehmen, ohne Interpretation des
Erlebten.
Diese rückhaltlose Direktheit jenseits romantischer Auflösungen exponiert den Moment der Begegnung und lässt ihn für
sich stehen.
Premiere: 14. April 2005, Tanzquartier Wien, Halle G, Wien/AT
Dauer: ca. 50 min.
Künstlerische Leitung, Konzept, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Saskia Hölbling, Michikazu Matsune, Moravia Naranjo, Andrea Stotter; Komposition, Musik: Heinz Ditsch; Licht, technische Leitung: Krisha; Raum, Kostüm: DANS.KIAS
Physische Attacken
Andrea Amort, Kurier, 19. April 2005
Saskia Hölbling, die Formen der Kommunikation auf der Spur ist, setzt in „Your body is the shoreline“ auf
Kontaktaufnahme. Das intime Du des Anderen erreicht sie nicht über Psychologie, sondern über körperliches
Zusammenkommen: Ein Aufeinanderprallen der Körper.
Der Mensch als bewegliche Masse, der sein Erleben ganz in eine abstrakt erscheinende Körperlichkeit gießt.
Auf in das Universum des anderen
Isabella Wallnöfer, Die Presse, 16. April 2005
“your body is the shoreline“, der Körper als Küstenlinie, an dem andere Menschen stranden – und sich entweder rasch
wieder auf die Fahrt ins ungewisse machen oder eine Zeit neuierig verweilen, um Kontakt aufzunehmen und das eine oder
andere Experiment zu wagen.
Körper treffen aufeinander, stürzen sich verwundert und interessiert ineinander, vertäuen sich zu Knäueln, die
aufzulösen minutenlang unmöglich scheint.Es geht nicht nur darum, den anderen zu erforschen, sondern in ein fremdes
Universum eoinzutauchen, um darin nach Eigenem zu suchen. Manches wirkt rücksichtslos, fast brutal. Und doch ist da
Respekt vor dem anderen, bleiben Nischen für den Rückzug ins Selbst.
Eine DANS.KIAS Produktion.
Koproduziert von den Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis und unterstützt vom Centre
Chorégraphique National de Franche-Comté à Belfort im Rahmen einer Residenz.
DANS.KIAS wird subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien
Umgeben von virtuellen Landschaften und Architekturen, Stimmen, Geräuschen und Textstellen aus Werken Dantes, umgeben
auch von Tänzern, die sich zwischen den Besuchern bewegen, zu Menschenskulpturen formieren und dem Gast so zu einem Teil
der Performance werden lassen – zum Mitwirkenden einer Kunstwelt, die sich zwischen Video, Tanz und Musik bewegt.
Ö1 Kultur (4. Nov. 2004)
Geheimnisvolle Klangwelten, eine 360°-Videoprojektion und Tänzer im Publikum: Eine interdisziplinäre Live-Performance,
gemeinsam „komponiert“ von Wolfgang Mitterer (Komposition & Live-Elektronik), Alexej Paryla (Video & Projektion) und
Saskia Hölbling (Choreographie & Tanz).
"labyrinth". Flöten, Stimme, Geräusche. Virtuelle Landschaften, Stadträume, Architekturen. Textstellen aus Werken Dantes.
TänzerInnen im Raum, gehen, kriechen, verschränken sich zu permanent sich verändernden Menschenskulpturen. Das Publikum
befangen, gefangen in einer Kunstwelt, in seiner Wahrnehmung hin- und hergerissen zwischen Musik, Video, Tanz, muß sich
an jeder Gabelung neu die Frage stellen..
Die Tonbandkomposition von Wolfgang Mitterer ist der Klangraum, in dem Katja Plaschka ihre Stimme entfaltet. Wolfgang
Mitterer selbst greift „live-elektronisch“ in den Abend ein und reagiert spontan auf Video und Tanz. Auch Alexej Paryla
arbeitet „live“ auf Basis einer 360° Videokomposition, die räumlich auf Musik und Tanz reagiert. Und auch der Tanz
findet nicht auf einer Bühne statt, sondern im Raum. Der menschliche Körper als Reservoir der Wahrnehmung, der
Empfindung, der Emotion bewegt das Pulbikum also unmittelbar.
Neu daran ist: Die durchgängig komponierte 360° Videoprojektion, in der sich das Publikum real in einer virtuellen
Landschaft bewegen kann, und in die der Videokünstler „live“ eingreifen und auf Musik und Tanz reagieren kann! Wolfgang
Musil (Universität für Musik) wird dafür gemeinsam mit Studenten für dieses Projekt eine eigene Software schreiben.
Premiere: 4. November 2004, Semper Depot, Wien/AT
Dauer: ca. 60 min.
Komposition: Wolfgang Mitterer; Choreografie: Saskia Hölbling; Video: Alex Paryla; Tanz: Saskia Hölbling, Michikazu Matsune, Moravia Naranjo, Andrea Stotter; Gesang: Katia Plaschka (Sopran); Licht: Krisha; Projektbezogene Softwareentwicklung: Robert Gründler, Wolfgang Musil, Phillip Sollmann; Technische Leitung: Ramon Villa-Lobos
Begehbare Kunsträume
Ljubisa Tosic, Der Standard, 6./7. November 2004
Ein Spaziergang durch ein Gesamtkunstwerk, mit Videos (Alexej Paryla) von abstrakten Landschaften und architektonischen
Fantasieprodukten – konfrontiert mit einem elegant, spannungsaufladend und doch auch kontemplativ wirkenden Inferno aus
Geräuschen und Klängen von Wolfgang Mitterer, über das die glänzende Katia Plaschka ihre Stimme legt.
Der Zuschauer wandert zwischen Tänzerskulpturen der Choreografin Saskia Hölbling.
Das Ganze basiert auf Texten von Dante Alighieri und bietet eine kontemplative Stunde, in der man die Sinne auf
Kunstreise schicken kann.
Im poetischen Labyrinth
Judith Schmitzberger, Kurier, 6. November 2004Eine multimediale, meditative Installation, die zum Schauen und Horchen einlädt.
Die Rätsel des Mythos
H.M., Krone, 6. November 2004Mitterers sensible Komposition, im Zentrum des Raumstücks, Paryla und Hölbling ist ein Wurf von erstaunlicher Dichte und Spannung gelungen.
Eine Produktion der Wiener Taschenoper in Kooperation mit DANS.KIAS.
DANS.KIAS wird subventioniert von der Stadt Wien und dem Bundeskanzleramt Österreich.
Nach "other feature" und "exposition corps“ ein weiterer Schritt, dem Subjekt Körper auf den Grund zu gehen: Versuch einer Unmittelbarkeit näher zu kommen, einer Zuständigkeit jenseits gesellschaftlicher Konventionen, eines Seins das sich anders mittelbar macht.
„Es geht darum, dem Körper in seinem physisch sinnlichen Verlangen zu folgen und in diesem gewissen Zustand des "Ver-rückt-seins" der Imagination uneingeschränkt freien Lauf zu lassen - in gewisser Weise den Körper verwildern lassen Durch fokussierte Distraktion werden Zustände jenseits linearer Interpretationen sichtbar. Diese Zustände der Lust und des Genießens lassen die Körper "anders-Sein", trotzdem aufgehoben in allgemeinem, wenn auch unterbewusstem Wissen. Ein Sein, Bewegen und Fühlen jenseits der Konvention, aber doch seltsam nahe. Herkömmliche Interpretationen mögen versagen. Es ist das gefährliche Unbekannte, das sich zeigt und defokussiert, um "das andere" sichtbar zu machen.“
Premiere: 14. Mai 2004, im Rahmen von Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis, MC93, Bobigny/FR
Dauer: ca. 70 min.
Idee, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Anne Juren, Michikazu Matsune, Moravia Naranjo, Max Steiner, Andrea Stotter; Komposition, Ton: Heinz Ditsch; Licht, technische Leitung: Krisha; Video: Georg Steinböck; Bühnenrealisation: David Subal
Eine DANS.KIAS Produktion.
Koproduziert von den Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis und dem Centre Chorégraphique
National de Franche-Comté à Belfort im Rahmen einer Residenz unterstützt durch die Convention Conseil Régional de
Franche-Comté/AFAA.
DANS.KIAS erhält eine Jahressubvention der Stadt Wien.
Da gibt es genauso viel Denken und Wollen
in einem wie in jedem anderen Teil des Körpers.
Ein Organismus mit vielen Sinnen, Augen und Tastsinnen.
Ein weißes Podium auf der Bühne : Eine Arena? Ein Denkmal?
Saskia Hölbling erscheint, mustert prüfend den Raum.
Plötzlich wirft sich der Körper. Wird geworfen. Von einem Sog erfasst. Wie man zu Boden fällt. Der Beginn der Zeit. Aber
einer rückläufigen Zeit, einer Rückkehr zum Ursprung, zu den Quellen eines Gedächtnisses, das noch nicht subjektiv ist.
Einem Gedächtnis des Körpers.
Der Körper von Saskia Hölbling erinnert sich. Dabei ist das noch immer nicht sie: Ihr Gesicht ist abwesend, entzieht
sich unseren Blicken durch eine ebenso befremdende wie faszinierende Verfügung über den Körper. Er erinnert sich. In
Schockwellen. Das ist kein Gleiten, der Fluss des Erscheinenden ist abgehackt, fast konvulsiv. Zerstückelt, vielfältig,
eine Konfrontation mit der Fragmentierung eines Körpers. Jedes Körperglied, jeder Körperteil entwickelt seine Partitur,
findet zurück zu einer autonomen Existenz, die die Ganzheit nicht negiert, aber sich in einer abhanden gekommenen
organischen Selbstgenügsamkeit versucht.
Saskia Hölbling befragt in ihrer Körper-Ausstellung Hautschichten, Gedächtniszellen und reflektiert dabei über
körperliche Identität. Körper-Ausstellung ist nicht gleich Frauen-Ausstellung und auch nicht Subjekt-Ausstellung. Wir
wenden uns vom Konstituierten ab, um den Faden der Identitätskonstitution selbst wieder zu finden. Eine Phänomenologie
der Körperlichkeit gewissermaßen.
Premiere: 22. Mai 2003, im Rahmen der Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis,
Centre Dramaturgique de Montreuil/FR
Dauer: ca. 30 min.
Konzeption, Choreografie, Tanz: Saskia Hölbling; Musik: Heinz Ditsch; Licht, technische Leitung: Krisha
Körper und Identität
Andrea Amort, Kurier, 6. Juni 2003Saskia Hölbling betritt den weiß ausgekalkten Raum 1020. Zum augenblicklich niederprasselnden Sound von Elektroniker Heinz Ditsch, der sich später nur punktuell und dann feinnervig zuschaltet, setzt die große, kräftige Performerin in BH und Unterhose zur „exposition corps“ an. Dreißig Minuten lang stellt sie weniger ihren Körper aus, sondern malt und bildhauert vielmehr Körper-Bilder und Skulpturen auf die Fläche und in den Raum. Das Ich betrachtet den Arbeitsraum sorgfältig, sobald die Gestalt von der Fläche abgetreten ist, um bei der Rückkehr auf das Gestaltungsfeld wieder zu verschwinden. Stringente Körper-Akt-Kunst. Die „Malerin“ ist ihre Modelliermasse.
Alles so schön bunt hier
Cathrin Elss-Seringhaus, Saarbrücker Zeitung, 28. Mai 200425 brennende, konzentrierte Minuten lang Befreiung vom Geschwätz unserer Zeit. Ein kleines weißes Podest im schwarzen Raum, drei Scheinwerfer, zum Schluss hin minimalistische Klänge: Knochen-Knacken-Techno? Eine Frau stellt sich aus. Nein: ein Körper. Zu besichtigen ist eine Muskel-Skulptur. In Bewegung, ganz langsam, modelliert durch Licht. Ein durchtrainierter Rücken, abgeknickte Gliedmaßen, ein zögernd sich aufstülpendes Hinterteil, der Kopf immerzu unter dem Rumpf versteckt. Der Mensch als organische Materie? Ein Kriechtier, mal Insekt, mal Schnecke. Zugleich ein Kunst-Produkt: eben das, was die österreichische Choreografin Saskia Hölbling aus sich selbst formt. Ihr Body-Work erzählt von der unermesslichen Freiheit – der Muskeln und ist in all seiner formalen Strenge eine assoziationssatte Reise zur Farbe des Fleisches. Leuchtend blass.
Wenn die Körper Einschau halten
Ursula Kneiss, Der Standard, 11. Juni 2003Es lassen sich Geschichten ablesen, Erlebnisse, die in der kontrolliert eingesetzten Motorik und Gestik wiederkehren. Gleichzeitig analysiert Saskia Hölbling, verlässt diesen Ort der Rückschau, um von außen das Feld der Meditation zu betrachten und sich erneut der physischen wie psychischen Erfahrung zu stellen. Dreißig Minuten totaler Einsatz, der mit Spannung zu verfolgen ist.
Körper verdreht
Isabella Wallnöfer, Die Presse, 6. Juni 2003Saskia Hölbling, zu internationalem Ruf gelangte heimische Tanz-Avantgardistin, liegt in Unterwäsche gekleidet, zusammengekauert auf der Bühne. Sie begibt sich auf die Suche - nach dem Gedächtnis, dem geistigen und psychischen Erinnerungsvermögen. Gekrümmter Rücken, auf den Kopf gestellte Balance, sich vorsichtig in die Umwelt tastende Gliedmaßen, nervös tänzelnde Zehenspitzen - der Körper hat viele Erinnerungen. Gute. Schlechte. Pränatale. Brutale. Sanfte. Erotische. Hölbling lässt das Geschehene abermals in ihre Muskeln fahren, weckt Bilder - eigene, längst vergessene Bilder, die auf der Bühne Fleisch werden.
Eine DANS.KIAS Produktion.
Koproduziert von den Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis und unterstützt vom Centre
Chorégraphique National de Franche-Comté à Belfort im Rahmen einer Residenz.
DANS.KIAS wird subventioniert von der Kulturabteilung der Stadt Wien.
Klirrende Schwerter, galopierende Pferde, Clorindas Himmelsfahrt – all das machte Claudio Monteverdi 1624 in „il Combattimento di Tancredi e Clorinda“ hörbar. 350 Jahre später komponierte Luciano Berio „A-Ronne“ nach einem Gedicht des Zeitgenossen Eduardo Saguineti. Dessen Collage aus Texten wie dem Evangelium, dem Kommunistischem Manifest oder Dantes „Inferno“ zerlegte Berio in kleine Einheiten, die in den unterschiedlichsten Affekten von acht SängerInnen interpretiert werden: schreiend, wispernd, jauchzend.
Saskia Hölbling inszeniert beide Werke als „Tableau“, die in musikalischem und inhaltlichem Zusammenhang stehen, gleichzeitig aber auch einen Kontrapunkt zueinander bilden: Im Zentrum ihrer Inszenierung steht eine obsessive Grundstimmung, die sich surreal im Raum manifestiert. Die Bewegungen der Sänger- und TänzerInnen strukturieren sich streng entlang der Partitur, ohne jemals formalistisch zu werden.
Premiere: 7. November 2002, Tanzquartier Wien, Halle G, Wien/AT
Dauer: ca. 90 min.
Musikalische Leitung: Peter Rundel; Inszenierung, Choreografie: Saskia Hölbling; Bühnenbild, Kostüme: Subals; Licht: Krisha; Vokalensemble NOVA: Ursula Langmayr, Johanna Wölfl, Daniela Janezic, Daniela Boll, James Cury, Bernd Lambauer, Colin Mason, Peter Cser; Tanz: Anne Juren, Moravia Naranjo, Max Steiner; Dramaturgie: Marie-Therese Rudolph
Eine Polyphonie des Skurrilen
Ljubisa Tosic, Der Standard, 12. November 2002Berios vieldeutiger Wort-Musik-Kosmos wird hier zu einer Polyphonie der skurrilen Momente transformiert. Auf zwei Tischen sitzen einander die Figuren gegenüber, von drei Tänzern gleichsam verziert. Jeder ist hier fein gezeichnet, erlangt etwas Archetypisches. Man schmunzelt über die eitlen Posen, kleinen Missgeschicke, die allesamt Entlarvungen auf Sympathiebasis darstellen.
Da geh' ich nicht hin!
Laszlo Molnar, Salzburger Nachrichten, 9. November 2002„a-ronne“ spielt mit zusammenhanglos dahergesungenen Worten und dem, was man an musikalischem Ausdruck daraus schlagen kann. Dada-Sprachartistik, die sich zu Musik fügt. Hier ließ Hölbling die Zügel schießen und erfand ein herrlich groteskes Bewegungstheater. Gestalten in den aufs künstlichste herbeigewundenen Verrenkungen klappen einfach zusammen, als habe man den Stöpsel gezogen. Affekt, Aufplustern, Imponiergehabe: wie das Berio-Gestammel ein hohles Getue. So kess inszeniert, wird aus dem Moderne-Oldie ein wunderbar erfrischender Kontrapunkt zur Selbstgefälligkeit hochpreisiger Kulturrepräsentation; unbedingt sehenswert!
Eine Koproduktion von Wien Modern, Wiener Taschenoper, Tanzquartier Wien und DANS.KIAS.
Mit Unterstützung von Culture 2000 und DÈPARTS.
Was passiert, wenn ich die Merkmale wegnehme,
die für mich ein Individuum erscheinen lassen?
Wenn ich das Gesicht, die Hände nicht sehe ...
Spricht der Körper dann subjektiv zu mir?
Wie kann der Blick eines Betrachters auf den Körper selbst gelenkt werden - und nicht auf seinen Parcours durch den
Raum: in das Universum dieses Körpers eindringen, diesen Körper entdecken, sich von diesem Körper absorbieren lassen,
diesen Körper verstehen suchen, ihn kennenlernen, aus diesem seinen eigenen Körper machen. Der eigene Körper in allen
anderen Körpern. Einzigartiger Körper.
Diese Fragestellung, diese Annäherung an den Körper ist sehr inspiriert durch die Arbeit von Laurent Goldring/F, seinen
bewegten Körperporträts und meinen Erfahrungen in seiner Arbeit.
Der Blick auf den gesamten Körper, auf seine Globalität wird zwischen einem „nackten“ und einem „kontextualisierten“
Blick oszillieren:
einem gelösten und einem konstruierten Blick
einem formalen und einem emotionalen Blick
einem „Körper“- und einem „Frauenkörper“ - Blick
Der Betrachter wird Zeuge dieser Transformationen.
Premiere: 4. April 2002, dietheater Wien, Wien/AT
Dauer: ca. 50 min.
Künstlerische Leitung, Konzept, Choreografie: Saskia Hölbling, Tanz, Choreografie: Anne Juren, Heide Kinzelhofer, Moravia Naranjo, Andrea Stotter; Musik, Komposition: Heinz Ditsch; Licht, technische Leitung: Krisha
Wenn die Wirbelsäule “tanzt”
Ursula Kneiss, Der Standard, 9. April 2002Feingefühl und künstlerische Sensibilität zeichnet Saskia Hölblings „other feature“ aus. Der Fokus ist auf den nackten Körper gerichtet, auf vier weibliche Körper. Meist ist die Rückenansicht zu sehen, ein rhythmisches Muskelspiel, ein Tanz, der jede Faser des Torso beansprucht, in dem nahezu jeder Wirbel zum Solisten wird. Da wird das Zucken des Schulterblattes zum Flügelschlag. Nacktheit auf der Bühne ist im zeitgenössischen Tanz keine Rarität. Doch selten ist gelungen, so ästhetisch und spannend das Auge zu Fesseln.
Scheideweg
Gabriele Haselberger, tanz.at, April 2002Sie lässt die Blicke an bloßen Rücken, Beinen, Armbeugungen und Schulterflügel hinabgleiten. Sensibel und behutsam führt sie das Auge des Zuschauers über die nackten Frauenkörper, die Gesichter bleiben dabei versteckt. Eine nuancierte Lichttechnik (Licht: Krisha Piplits) fasst die Körper ein, stellt sie aber nie bloß. Hölbling ist bekannt für ihre minutiöse und feinfühlige Arbeit.
Verteidigung und Trotz des Kärpers
Marie-Christine Vernay, Liberation, 10. Juni 2002Die Österreicherin Saskia Hölbling beginnt noch einmal bei Null. In „other feature“ behandelt sie die Körper wie Knetmasse, wie Ton. Skulptur. Von der Materie ausgehen und die Konturen neu zusammenfügen, die den von der Werbung und den Illustrierten ausgeschlachteten Bildern entgangen sind: Man geht in diese Vorstellung, als würde man in das Atelier eines Bildhauers eindringen. Die skulptural modellierten Frauen sind meistens in Rückenansicht oder im Profil zu sehen, sie erstarren, werden zu Gemälden von Bacon, verrenken sich, bis sie keine menschliche Gestalt mehr zu haben scheinen. Dieses von den bewegenden Porträts des Fotografen Laurent Goldring inspirierte, äußerst dezente Stück einer Choreografin, die bereits durch ihr kompositorisches Talent und ihre künstlerische Reife (31 Jahre) aufgefallen ist, führt uns liebevoll und spielerisch in das Geheimnis der körperlichen Hingabe ein, wo, fernab von Pornografie oder Prostitution, Leidenschaft noch möglich ist. Ein Tanz ohne Beschützer, ohne Schutz – offen.
DANS.KIAS, other feature, Israel Festival, Jerusalem Theatre
Ora Brafman, The Jerusalem Post, 6. Juni 2004Die skulpturale Form wurde neu definiert, wodurch sich auch neue Aspekte der Interpretation eröffnen. Saskia Hölbling ließ ihre Tänzer in einer eigenartigen Abfolge ungewöhnliche Posen und eine Vielzahl faszinierender Positionen einnehmen, die die weibliche Form auf eine Weise exponierten, die im Allgemeinen mit künstlerischer Fotografie assoziiert wird.
Koproduziert von les Rencontres Chorégraphiques Internationales de Seine-Saint-Denis und le CCN de la Franche-Comté à
Belfort dans le cadre de l' accueil studio / Ministère de la Culture et de la Communication.
Subventioniert von der Stadt Wien und dem Bundeskanzleramt Österreich mit Unterstützung von le Vivat d' Armentières und
dietheater Wien.
" … ermöglicht einen Blick hinter die von Effizienz und Funktionalismus geprägten Fassaden, erschafft eine Welt, die Entspannung zulässt … "
„intent/frame 2“ versteht sich als Kontrapunkt zu „intent/frame 1“ und erlaubt einen Einblick hinter die Fassaden von Effizienz und Tätigkeit, entwirft eine Welt des innehaltenden Beobachtens und spielerischen Verweilens.
Premiere: 3. Oktober 2001, im Rahmen der Eröffnung des Tanzquartier Wien, Halle G, Wien/AT
Dauer: ca. 40 min.
Künstlerische Leitung, Konzept: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Saskia Hölbling, Heide Kinzelhofer, Max Steiner, Andrea Stotter, David Subal; Licht: Krisha; Bühne: David Subal
Der Körper als Nullpunkt
Gerald Siegmund, FAZ, 10. Oktober 2001"intent/frame 2" ist ganz der Leichtigkeit eines Sommertages geschuldet. In einer Versuchsanordnung die an Manets Gemälde "Déjeuner sur l'herbe" erinnert, entwickelt sich ein schönes Spannungsfeld aus Beobachtern und Beobachteten, nackten und bekleideten Körpern …
Koproduziert von dem Centre Chorégraphique National de Caen/Karine Saporta im Rahmen einer Studio Residenz.
DANS.KIAS ist subventioniert durch die Stadt Wien.
Doch sieht sie mit ihren Fingern. Sie fühlte, las ihre Gedanken, ihre Bedürfnisse und Erinnerungen und sprach sie auch
aus. Welch großer Teil von ihr aufnimmt und weiß. Ja, sie empfand Freundlichkeit, strahlte sie aus, entspannt sich und
akzeptiert es, durch das offene Fenster zu folgen. Ihre Arme, halb ins Unsichtbare sinkend, zeigen hinab. Frei von der
zarten, der stofflich-samtenen Bläue auf der Haut. Ihr Kopf sank in die Tiefe, geschmeidig wie ein warmer Fels.
Gefaltete Hände begannen den Rhythmus vorzugeben, den sie aufgriff. Sie würde das Gewicht fühlen, die viskose Substanz
aller verband sich zu einem Ganzen, wie ein Akkord, der gehalten wird und sich langsam in seine Obertöne auflöst. Sie
arbeiten frei, erleichtert nebeneinander. Verschwommen Gegenstände erblickend, Formen auf einem Tisch.
(Dieser Text wurde durch die Lektüre von Marge Piercy „Woman on the Edge of Time“ inspiriert und und in Beziehung
gesetzt zu Lachambre reading Hölbling reading Goldring made with/out of Lachambre)
Fleisch in Aspik, zur Schau gestellt, in die Umarmung flüchtend, präsentiert, um das seltsame Gespräch zu bezeugen.
Knochen begegnen Augen. Unter dem sich aufbäumenden Fleisch breiten sich wimmernde Wellen einer stöhnenden Substanz ins
Unbekannte aus. Er wird Es. Er verlernt seine Masse und lässt sie von anderen Möglichkeiten sprechen. Man wird zu einer
anderen Ordnung.
(in Reaktion auf den ersten Text, Erinnerungen von Goldring made with/out of Lachambre)
rrr...
Ausstellung Goldring made with/out of Lachambre
Performance reading Lachambre reading Hölbling reading Goldring made with/out of Lachambre
Künstlerische Leitung: Benoît Lachambre; Choreografie: Benoît Lachambre, Saskia Hölbling; Tanz, Performance: Saskia Hölbling Licht: Krisha; Bühnenbild, Kostüm: Lachambre, Hölbling; Video: Laurent Goldring
Premiere: 18. August 2001, Podewil, Berlin/DE
Dauer: ca. 30 min.
Bizarre Traumwelten
Andrea Philippi, Berliner Morgenpost, 20. August 2001In „reading readings reading“ lässt der Videokünstler Laurent Goldring den Körper des Choreographen Benoît Lachambre zu verschränkten, fast nicht mehr erkennbaren Körperteilen verschmelzen. Wechselnd zwischen deutsch, englisch und französisch, interpretiert die österreichische Tänzerin Saskia Hölbling in einem verwirrten Diskurs zwischen Geraden, Nullpunkten und hyperkomplexen Perspektiven den entformten Leib von Lachambre. Die Theorie löst sich mit feinen Fingerbewegungen und Fußtippen in eine sich windende, fast schwerelose Materie auf. Unvergesslich die Präsenz der Künstlerin.
Der Körper als Nullpunkt
Sylvia Staude, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Oktober 2001Benoît Lachambre, Konzept, und Saskia Hölbling, Tanz und Text, die einen Nonsense-Text über, unter anderem, Bezugspunkte, Idealwerte, Systeme, Diagramme, Bemühungen ums Gleichgewicht so raffiniert mit Bewegung verknüpfen, dass die Sprache den Körper beleuchtet und umgekehrt: Man sucht nach dem System der Choreografie, dem Bezugspunkt im Raum für die Tänzerin – der außerdem sozusagen in persona als roter Punkt vor ihr in der Luft hängt – , und man findet Witz und kluge Gedanken in „rrr...“ (reading, readings reading...)
Auf freiem Feld
Gerald Siegmund, Frankfurter Rundschau, 23. August 2001Virtuos treibt Hölbling die Mathematik in die Entropie, setzt Sprache in tanzende Gesten um, und wie sie so in der Mitte der Bühne sitzt, die das Licht in neun Quadrate unterteilt hat, erscheint ihr Körper plötzlich als jener Nullpunkt, in dem sich Geschichte und zukünftiges Handeln treffen. Immer stärker gerät sie dabei in Bewegung, legt ihren Körper wie eine bizarre computeranimierte Form um die Kiste – das Produkt aller im Raum schwebenden Informationen und deren produktive Umsetzung zugleich.
Vertanzter Text
Verena Franke, Wiener Zeitung, 28. Oktober 2006Um einen freischwebenden, roten Punkt dreht sich die Performance „rrr...“ des Choreografen Benoît Lachambre im Tanzquartier Wien. Die Tänzerin Saskia Hölbling benutzt auf beeindruckende Weise ihren Körper, um einen mathematischen Text zu veranschaulichen. Die textliche Ebene ergänzt genial die physische.
Eine Koproduktion des Tanzquartier Wien und der Tanzwerkstatt Berlin.
Subventioniert durch die Stadt Wien.
In einer Umgebung von transparenten Zelten, kleinen Inseln, die eine kurze Rast erlauben, bewegen sich die Menschen
weiter. Seite an Seite, manchmal im Gespräch miteinander. Effizient genug, um an der Oberfläche zu kommunizieren.
Funktionell in einer entworfenen Welt. Ständig bestrebt, ihr Image in einer Welt voll möglicher Identitäten zu
kultivieren und zu vertiefen.
im fortschritt ein niederlassen – transparente liegestätten – flexibilität des neuen nomadentums – filtriert gelebte
nützlichkeit in regeln – etwas zum anhalten – funktionelles design – fortlauf der zeit – ins gespräch gekommen –
effizienter austausch an zuordnungen – codes – bei sich bleibendes scheitern – wieder durchquert – differenzierung an
der oberfläche – andocken, festhalten, abgleiten – anstoßen, vorüberstreifen, abrutschen – wiederholt durchlaufen –
aufprallen, anschlagen, durchstoßen – zuführen, anlehnen, ergreifen – weiter fort – fassaden geformt – durchdrungen in
ein ungeordnetes – fortschreiten – vernetzt zu sich gewandt – umraum einer transparenten nomadenkultur – der inhalt ihre
bausteine
„intent/frame 1“ beschäftigt sich mit dem, was ich das „moderne Nomadentum“ nenne. Es ist eine Reflexion über die Vorstellung von Effizienz,
Transparenz und Flexibilität, eine Beschäftigung mit den Worten von heute, die – ihrer Bedeutung beraubt – reine
Fassaden geworden sind.
Umgeben von kleinen Inseln, die eine kurze Rast erlauben, so wie transparente Zelte, provisorische Räume und einige
Konstruktionen aus Metall, an die man sich anlehnen kann, bewegen sich die Menschen weiter. Sie leben ihr Leben. Seite
an Seite, manchmal im Gespräch miteinander, funktionell in einer entworfenen Welt, effizient, transparent genug um an
der Oberfläche zu kommunizieren und flexibel genug um von einem Meeting zum nächsten zu springen, weiterzumachen, ihr
Image in einer Welt voll möglicher Identitäten zu kultivieren und zu verstärken.
Verlust der Intimität, Verlust der Individualität. Zu viele mögliche Pflichten. Zu gut geschult in der Kunst des
„Scheinens“ und der Darstellung.
Der Wunsch lebt noch immer, doch konfrontiert mit dem eigenen inneren Versagens, der Unfähigkeit, die Oberflächen zu
verlassen.
Die Arbeitsweise des Ensembles DANS.KIAS basiert auf diesen Beobachtungen, sie basiert auf dem schnellen Erfassen,
Darstellen und Zurückweisen von Gedanken zu konkreten körperlichen und geistigen Zuständen als Metapher für die
multiplen Identitäten und Aufgaben.
Ich nannte die entwickelten Stadien „Küche“ (für jeden Tag), „Plaudern“, „Zusammenstoß“ (Begegnungen mit dem Wunsch,
über die Oberfläche hinauszugehen) und „Funktionalität“ (Zusammenarbeit für ein Maximum an Effizienz).
Das Bewegungsmaterial wurde in einem langen Prozess der Improvisation entwickelt und bleibt auch während des Stückes
improvisiert – gefangen in einem stark strukturierten Netzwerk. Aber das meiste davon ist geschrieben (festgeschrieben).
Premiere: 1. Dezember 2000, dietheater Wien, Wien/AT
Dauer: ca. 40 min.
Künstlerische Leitung, Konzept: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Saskia Hölbling, Heide Kinzelhofer, Max Steiner, Andrea Stotter, David Subal; Licht: Krisha; Bühne: Subal
Abschied der Befindlichkeit
Andrea Amort, Kurier, 6. Dezember 2000Wer sich auf die Stimmung einlässt, die Saskia Hölbling und ihr Ensemble DANS.KIAS im Künstlerhaus erzeugen, mag am Ende tief bewegt gar nicht weggehen. Tiefe Gefühle kriechen während der knappen Stunde, die in „in.tent//frame 1“ dauert, aus den Gemütern mancher Zuschauer sichtbar an die Oberfläche. Von den Oberflächen handelt auch die theatralische Auseinandersetzung, die Hölbling auf einem Bühnenrechteck zeigt. Durchsichtige Zelte stehen da, Haltegriffe wie in U-Bahnen sind installiert. Modisch gestylte Menschen bewegen sich dazwischen. Zwischen den Einzelnen läuft nichts, sie berühren einander, stoßen am anderen an. Wirkliche Kontaktaufnahme aber bleibt aus. Ein wichtiger dramaturgischer Aspekt an diesem Abend, der mit stark reduzierter, aber gehaltvoller Bewegung auskommt, ist die sehr geschickt arrangierte Musik: Zwischen den poetischen Liedern vermittelt eine mehrmals eingesetzte Geräuschzone die Ausweglosigkeit solchen Daseins
Einsame Nomadinnen
Kerstin Kellermann, an.schläge, Februar 2002Nomadinnen, die von Beziehung zu Beziehung und zwischen Männern und Frauen hin und her ziehen – privilegierte postmoderne Beziehungs-Hybridität: Die dazugehörige Bewegung im Stück ist ein Arm um eine Schulter gelegt, der gleichzeitig eine Person hält und trotzdem in die Ferne deutet. „in.tent//frame1“ erinnert an ein Liebesphänomen in Jugoslawien vor dem Krieg, genannt Pik Dame. Der kommende Krieg war schon zu spüren, die Menschen überdreht und einsam, gierig nach Nähe. Pik Dame bedeutete, mit einem Menschen ab dem Moment der Begegnung, ununterbrochen zusammen zu sein, quasi ohne Luftholen ein paar Tage bis Wochen zu verbringen, bis zum bitteren Ende. Dann folgt die Enttäuschung und – wie im Stück – die nächste Pik Dame...
Umgesetzt mit dem Prix d'auteur du Conseil général de la Seine-Saint-Denis/Frankreich (Rencontres Chorégraphiques
Internationales 2000).
Subventioniert durch die Stadt Wien.
Drei Duos, drei spezifische Begegnungen im abstrakten Kontext von Tanz und Sprache, wobei das formale Gerüst der Choreografie ermöglicht, dass die Spontaneität eines Augenblicks Platz greift. Als ob man mit jemandem sprechen würde: in den verschiedensten emotionalen Nuancen; diese Diversität in den Tanz einfließen zu lassen, ist anregend und erfrischend.
Duette, begriffen als einzigartige Begegnungen zwischen zwei Individuen, Begegnungen auf nonverbaler und verbaler Ebene
im abstrakten Kontext von Tanz und Sprache.
Choreografien deren formales Netz so geknüpft ist, dass die Nuancen eines Moments Einfluss nehmen auf die Gesamtstimmung
des Stückes, auf die Begegnungen, die dadurch notwendigerweise immer wieder zu einzigartigen werden.
„Wenn wir miteinander sprechen, über welches Thema immer, vermittelt sich nicht nur dessen Inhalt an sich, sondern mit
jedem Satz, jedem Wort, jeder Gestik und Art der Artikulation, jeder Betonung, jedem Atemschöpfen, jeder Färbung der
Stimme, jeder Veränderung der Gesichtszüge, jedem Unterton auch eine unglaublich vielschichtige und diffizile
Information über das jeweilige Gegenüber.
Der Versuch, zu kommunizieren geht also weit über die sprachliche, rein intellektuelle Inhaltlichkeit hinaus, ist immer
gleichzeitig ein gegenseitiges Abtasten, das sich eines persönlichen, ganz individuellen Zugangs nicht verwehren kann.
Abseits der Form der Sprache, definiert durch ihr Vokabular und ihre Grammatik, spricht also nicht nur die Wahl der
möglichen Formulierungen, sondern auch die Art und Weise ihrer Veräußerung, also die Körperlichkeit, die sie trägt, und
die jeweilige emotionale Färbung und immer aufgenommen aus einem ganz persönlichen Blickwinkel heraus.“
Premiere: 2. Dezember 1999, dietheater Wien, Wien/AT
Dauer: ca. 60 min.
Künstlerische Leitung, Konzept, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Saskia Hölbling, Andrea Stotter, David Subal, Susi Wisiak; Licht: Krisha; Bühne: Subal
Tanz und Sprachfetzen
Silvia Kargl, Salzburger Nachrichten, 6. Dezember 1999
Ein amüsantes und anspruchsvolles Stück ist der jungen Senkrechtstarterin der freien Wiener Choreographen-Szene Saskia
Hölbling mit „Chat.Gap“ im Wiener Künstlerhaus gelungen.
Ganz neu zu entdecken ist Hölblings Begabung als Regisseurin, die in „Close.Two.Verbal“ ein doppelbödiges, humorvolles
und bösartiges Zwiegespräch aufrollt - zeitgenössisches Tanztheater im besten Sinn.
Kommunikativer Spielraum
Christine Dobretsberger, Wiener Zeitung, 6. Dezember 1999„Chat.Gap“ ist einerseits eine konsequente Verweigerung traditioneller Vorstellungen von Tanz, andererseits eine vielseitige Auseinandersetzung zum Thema Kommunikation.
Eine DANS.KIAS Produktion.
Szenen, in denen menschliche Beziehungen subtil durch formale, streng strukturierte Choreografien zur Musik J.S.Bachs durchschimmern werden Szenen gegenübergestellt, die Einblicke geben in intime, selbstvergessene Momente der Tänzer, Fragmente des Lebens zum Klang der Stille und zur Musik von Simon Diaz. Dieser Gegensatz beginnt sich im Laufe des Stücks mehr und mehr aufzulösen: unangenehme und dissonante Klänge schleichen sich ein, die Irritationen greifen tiefer und tiefer, Kontorsionen der Körper, Kontrollverlust bis hin zur völligen Erschöpfung. Was bleibt ist ein zerfurchter Boden und Menschen in ihrem puren Sein
Was ist unsere Motivation zu handeln: Eine individuelle Regung, ein Funke Leidenschaft , den wir zu kommunizieren
wissen, oder das Funktionieren innerhalb einer sozialen Struktur, die strukturelle Intelligenz, die wir gelernt haben zu
empfinden ? – Struktur der Emotionen, oder emotionale Strukturen?
Szenen, in denen menschliche Beziehungen subtil durch formale, streng strukturierte Choreografien zur Musik J.S.Bachs
durchschimmern werden Szenen gegenübergestellt, die Einblicke geben in intime, selbstvergessene Momente der Tänzer,
Fragmente des Lebens zum Klang der Stille und zur Musik von Simon Diaz (venezolanische Volksmusik) – Versuche, diesen
intimen Regungen ihre Form zu geben.
Dieser Gegensatz beginnt sich im Laufe des Stücks mehr und mehr aufzulösen: unangenehme und dissonante Klänge schleichen
sich ein, die Irritationen greifen tiefer und tiefer, Kontorsionen der Körper, Kontrollverlust bis hin zur völligen
Erschöpfung.
Was bleibt ist ein zerfurchter Boden und Menschen in ihrem puren Sein.
Premiere: 4. Dezember 1998, dietheater Wien, Wien/AT
Dauer: ca. 60 min.
Künstlerische Leitung, Konzept, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Heide Kinzelhofer, Max Steiner, Andrea Stotter, David Subal, Susi Wisiak; Musik: J.S. Bach, Simon Diaz; Musikarrangement: Martin Kratochwil; Licht: Krisha; Bühne: Subal
Uzès im Spagat
Marie-Christine Vernay, Libération, 21. Juni 2000„Do your desires still burn“ der Österreicherin Saskia Hölbling ist ein erstaunlich feinfühliges Stück. Die junge Choreografin zeigt Einflüsse von Trisha Brown oder Anne Teresa de Keersmaeker, schöpft aber darüber hinaus aus ihrem eigenen Universum, das durch eine starke Sinnlichkeit geprägt ist. Die Bewegungen der Tänzer sind irritierend, bis der Funke der Leidenschaft durch eine Frauenhand überspringt, die auf dem Geschlecht einer anderen ruht, die Berührungen, ja Liebkosungen die Körper an intimster Stelle entflammen. Diese Aufführung, die man aus nächster Nähe sehen muss, ist schonungslos, erzeugt eine extreme Spannung; als ob es einzig und allein um diese zarte Zuwendung der Körper ginge, die so fragil, so wehrlos ist.
Konstruktion der Leidenschaft durch die Kraft der Choreografie
Annemarie Klinger, Neue Zeit, 6. Dezember 1998Wie oft bei Tanzstücken vermitteln sich die Kraft einer Choreographie über die Atmosphäre, die sie entstehen läßt, und die ist bei Saskia Hölbling sehr dicht, getränkt mit Geist, Humor und Hingabe.
Auszeichnung
Prix d'auteur du conseil général de la Seine-Saint-Denis 2000 in the frame of les Rencontres Chorégraphiques
Internationales de la Seine-Saint-Denis/Bagnolet.
Subventioniert durch die Stadt Wien.
Glücklich, das ist seltsam
Premiere: 18. März 1998, dietheater Wien, Wien/AT
Duras-Trilogie Teil 3, basierend auf M. Duras “Déstruir, dit elle”
alles hat angefangen, ohne sie zu sein
es ist unmöglich, daß sie je wieder frei von ihr sein wird
sie gehört dem, der sie will
sie empfindet, was der andere empfindet
seit zehn Tagen beobachtet er sie
sie liebt ihn jede Nacht
beide sind ihre Liebhaber
Langeweile
Schweigen
glücklich, das ist seltsam
"Wenn die Langeweile eine bestimmte Form annimmt, die eines Stundenplans zum Beispiel, wird sie nicht mehr als solche
aufgefaßt.
Wenn sie nicht mehr als solche aufgefaßt wird, nicht mehr als Langeweile bezeichnet wird, kann sie unerwartete
Richtungen nehmen -völlig unvorhersehbar..."
"Déstruir, dit elle"
M. DURAS
geschehen lassen
mit sich geschehen lassen
sein Leben mit sich geschehen lassen
nicht wissen was geschieht, noch was geschehen wird
noch wer man ist
sein
nicht aufhören zu sterben
Liebe wie Verzweiflung leben
verzweifelte Liebe
Das ist alles.
Dramaturgie, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz: Heide Kinzelhofer, Max Steiner, Andrea Stotter, David Subal; Komposition, Musikarrangement: Martin Kratochwil; Bühnengestaltung: David Subal; Lichtregie: Emre Tuncer
Im Vergessen Selbst Bewahrt
Premiere: 6. Oktober 1997, dietheater Wien, Wien/AT
Duras-Trilogie Teil 2, basierend auf M.Duras „Hiroshima, mon amour“
Zwei Schultern
umschlungen in Asche getaucht
im Gleißlicht der zehntausend Sonnen
kein anderer
wird das Warum ihres Begehrens begreifen;
den Wahn,
nie werde man vergessen können...
angesichts des verbrannten Steins,
des verwundbaren Eisens und der Zäune
Zeit wird dahingehen.
Nichts, als Zeit.
Ganz allmählich wird die Erinnerung
aus dem Gedächtnis dahinschwinden.
Und dann, dann wird sie ganz entschwinden.
Im Vergessen selbst bewahrt
"Es ist eine der eigentlichen Absichten dieses Films (Stücks), Schluß zu machen mit der Schilderung des
Entsetzlichen
durch das Entsetzliche, sondern das Entsetzliche wieder auferstehen zu lassen aus jener Asche und sich einprägen zu
lassen in eine Liebe, die notwendig zu einer besonderen werden muß."
Hiroshima, mon amour
M. DURAS
Eine urgewöhnliche, alltägliche Umarmung, eine Liebe findet statt an einem Ort
der Welt, an dem sie am schwersten vorstellbar ist: Hiroshima (Sarajevo).....
Ein besonderer Schimmer umgibt dort jede Bewegung, fügt jedem Wort dem buchstäblichen Sinn einen zusätzlichen hinzu.
Der Wahn, nie werde man vergessen können, und das Dahinschwinden der Erinnerung mit der Zeit stellt die Verbindung
zwischen individuellem Glück und kollektivem Drama dar- das Narrativum für den Irrsinn eines Krieges.
Dramaturgie, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz: Heide Kinzelhofer, Max Steiner, Andrea Stotter, David Subal; Komposition, Musikarrangement: Martin Kratochwil; Bühnengestaltung: David Subal; Lichtregie: Emre Tuncer
Nacht für Nacht, Mehrere Tage Lang
Premiere: 8. Oktober 1996, dietheater Wien, Wien/AT
Duras-Trilogie Teil 1, basierend auf M.Duras „La maladie de la mort“
Eine Frau, ein Mann
ihr vereinbarter Ort des Zusammentreffens das Bett eines Zimmers
nahe dem Meer
ein Liebesversuch
getrieben von jener Grundverschiedenheit zwischen Mann und Frau
ihre Geschichte, die Geschichte von Jahrhunderten:
sie weiß, daß es nicht um sie gehen kann,
vielleicht ist sie deshalb bereit
Nacht für Nacht, mehrere Tage lang...
doch er verlor Ihre Liebe, bevor sie eintraf
"Immer bliebe es ihnen, und jedem, ein Rätsel, was sie sieht und was sie denkt, von der Welt wie auch von ihnen, von
ihrem Körper wie auch von ihrem Geist, und von jener Krankheit, von der sie sagt, sie seien von ihr befallen. Sie weiß
es selber nicht. Sie wüßte es ihnen nicht zu sagen, sie erführen durch sie darüber gar nichts."
La maladie de la mort
M. DURAS
Es geht also um Mann und Frau
um jene Grundverschiedenheit zwischen ihnen,
um jenes Rätsel, das faszinierend und unverständlich zwischen ihnen liegt,
um das faszinierende Unverständnis, die unverständliche Faszination,
um jene Gedanken, die dieses Geheimnis besiegeln
und unausgesprochen Lust machen
Dramaturgie, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz: Heide Kinzelhofer, Max Steiner, David Subal; Komposition, Musikarrangement: Martin Kratochwil; Bühnengestaltung: David Subal; Lichtregie: Emre Tuncer
Doppelbödige Gefühlswelten
Edith M. Wolf Perez, Tanz Affiche, Mai 1998
Duras' literarisches Werk schwingt in der Musik, im Tanz und in den Beziehungen der Tänzer mit. Textpassagen werden sehr
sparsam und effektvoll eingesetzt, niemals als Erklärung. Saskia Hölblings Auseinandersetzung mit dem Werk der großen
französischen Literatin ist profund, respektvoll, als gäbe es hier eine Seelenverwandschaft, die sich äußern muß.
Genauso wie Duras ihre Sprache präzise formuliert, choreographiert Hölbling mit Liebe zum Detail.
In vielen Szenen klingt das Cinéma français der sechziger und siebziger Jahre an, entsteht eine Athmosphäre
undefinierter und doppelbödiger Emotionen und Beziehungen. Die Tänzer Heide Kinzelhofer, Max Steiner, Andrea Stotter und
David Subal leben sich in diese Stimmungen mit entwaffnender Offenheit ein. Ein Spiel von Leid und Leidenschaften,
dessen Intensität den Zuschauer ins Geschehen zieht. Und das, obwohl Hölbling auch insofern Duras-treu bleibt, als sie
die kühle Distanz der Akteure beibehält. Denn mit dem Widerspruch, den diese Gefühlswelten aufwerfen, geht die junge
Choreografin souverän um: sie psychologisiert nicht, läßt die Charaktere ihrer Stücke aber als Einheit bestehen. Dadurch
sind Emotionen in jedem Moment präsent, aber nicht erklärbar. „Glücklich, das ist seltsam“ – Saskia Hölbling hat mit
ihrem Tanz die Bedeutung dieses Satzes sicht- und spürbar gemacht.
Weltliteratur in Tanzsprache
Christine Dobretsberger, Wiener Zeitung, 9. Oktober 1997Die junge österreichische Choreographin Saskia Hölbling arbeitet bei ihrer Inszenierung mit artverwandten Mitteln wie Duras, wenn auch auf einer anderen Ebene. Die klare Diktion, das Minimum an Worten, denen die französische Schriftstellerin ein Maximum an Leben einzuflößen versteht, erfährt in Hölblings Tanzsprache eine ähnliche Ausdruckskraft.
Duras Diktion getanzt
AS, Austria Today, 13. März 1998Der 27-jährigen Choreografin Saskia Hölbling gelang es, die für den unverwechselbaren Stil der Duras typische Spannung erfolgreich in ihr Stück zu transponieren.
Wiener Choreographen: Die Qualität nimmt zu
Andrea Amort, Kurier, 13. Oktober 1997Mit viel Gespür für eine wirkungsvolle musik- und tanztheatralische Regie. Mit viel Sinn für Zeitmaß und Atmosphäre.
Eine DANS.KIAS Produktion.